Untersendling: Städtische Prestigeprojekte und teure Neubauwohnungen

In Untersendling wird noch viel gebaut. Vor allem die städtische GWG realisiert große Bauvorhaben – nur für bestimmte Mieter und mit viel Steuergelder. Private Bauträger bauen Eigentumswohnungen, allerdings kann sich diese kaum jemand mehr leisten.

Am 12. Oktober 2023 erschien Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) anlässlich der Fertigstellung des Wohnblocks MK6 persönlich in Untersendling.  „Das ist wirklich ein Vorzeigeprojekt“, lobte Reiter.
Anstelle der bisherigen Brache der „Sendlinger Wüste“ am Herzog-Ernst-Platz sei ein Mittelpunkt in Sendling errichtet worden, der den Anwohnern und neuen Mietern Erholung, Freizeit, Einkaufen und Kinderbetreuung biete, so Münchens Oberbürgermeister. Das Lob kam nicht sehr überraschend, handelte es sich bei dem Bauherrn um die eigene städtische Wohnungesellschaft GWG. Unter den 365 Wohnungen entstanden mit Hilfe der städtischen Münchenstift, dem Sozialdienst katholischer Frauen und der Münchner Aidshilfe auch 28 Wohnungen unter dem Projektnamen „Queer Quartier“ für selbstständig wohnende Senioren aus der Queer-Community. 
Mit 44 Prozent Wählerstimmen für die Grünen und 26 Prozent für die SPD in der Stadtratswahl 2020 gilt der Stadtbezirk Sendling als Wählerhochburg der regierenden rot-grünen Parteien im Münchner Rathaus. Sie betrachten die Münchner Wohnungspolitik auch als Instrument zur Machtsicherung mit Geschenken für ihre Wähler. 
 
Stadt verdrängt Privatvermieter.
Eine Schlüsselstellung nehmen dabei die städtische Wohnungsgesellschaften GWG und GEWOFAG ein, die zum 1.Januar 2024 zum Mega-Wohnungskonzern Münchner Wohnen fusioniert werden sollen. Neben der Erstellung neuer Wohnungen für ihre Klientel verfolgt  die Stadtregierung eine massive Ausweitung des sogenannten Milieuschutzes (Erhaltungssatzung), die Altmieter vor Mieterhöhungen und Eigenbedarfskündigungen der Wohnungseigentümer schützt. Weil bei Modernisierungen die Vermieter sonst die Kosten auf die Miete umlegen können, untersagen die Erhaltungssatzungen „bauliche und Nutzungsänderungen über dem ortsüblichen Standard, Luxusmodernisierungen und Umwandlungen“, beziehungsweise unterstellen dies der Genehmigungspflicht des Sozialreferats. Dies kommt bei den begünstigten, oft auch finanziell gut bestellten Mietern der Erhaltungssatzungsgebiete gut an, da sie sonst angesichts der Münchner Wohnungsknappheit mit steigenden Mieten rechnen müssten. Für die betroffenen Eigentümer wirken sich die Eingriffe in ihre Eigentumsrechte jedoch negativ auf ihren Mietertrag und damit auf die Renditen ihrer teuren Investition aus. 2018 hat die Stadt die Erhaltungssatzung verschärft, indem es Vermietern bei Neuvermietungen nur noch die Höchstmiete des Förderprogramms „München Modell“ (aktuell 11,50 €/m²) erlaubt. Vermieter müssen diese verschärften Satzungsbedingungen über Abwendungserklärungen akzeptieren, wenn sie nicht der Stadt München  ein Vorkaufsrecht ihrer Wohnungen einräumen wollen. Weil mit dem Zinsanstieg die Wohnungspreise sinken und die staatlichen und kommunalen Regulierungen den Mietertrag beeinträchtigen, trennen sich immer mehr Vermieter von ihren Wohnungen und verkaufen diese gerne an die Stadt. 
Die Aufkaufpolitik kostet der zunehmend höher verschuldeten Stadt knappe Haushaltsmittel, die den wirklich bedürftigen Mietern mit geringem Einkommen wegen fehlender neuer Sozialwohnungen und Wohnhilfen entgehen. Ein Beispiel für den teuren Ankauf von Wohnungsbeständen ist die Siedlung an der Plinganserstraße beim Harras, mit dem 1932 von Robert Vorhoelzer erbauten Postgebäude, dem Wahrzeichen im Zentrum von Sendling. Die in den 1960er- bis 1970er-Jahren errichtete Wohnanlage an der Plinganserstraße befand sich im Eigentum der Degussa, die sie von der Industria verwalten ließ. Die Industria plante die Wohnanlage zu sanieren und durch Riegelbauten im Norden und entlang der Plinganserstraße zu erweitern. Als Altmieter deshalb eine Mieterhöhung befürchteten, erwarb die Stadt München die Siedlung und lässt sie nun durch die GWG sanieren und erweitern. „Das Grundstück erhielt die GWG München dank des städtischen Vorkaufsrechts“, verrät Verena Dietl (SPD), GWG-Aufsichtsratsvorsitzende und Bürgermeisterin der Landeshauptstadt München. Die Stadt übernimmt also den Wohnungsbestand und die Baumaßnahmen auf Kosten der Gebühren und Steuern der Bürger, obwohl ohne Erhaltungssatzung die Investitionen sonst von der Industria durchgeführt worden wären. 
Dass auch private Bauträger und Entwickler ohne Steuermittel derzeit noch Neubauwohnungen errichten können, beweisen die großen Bauvorhaben im Süden des Stadtteils. Dort wird die Baywobau bis Anfang 2024 eine große Wohnanlage mit 256 Wohnungen in der Tölzer Straße fertigstellen. Ein Großteil der Eigentumswohnungen ist bereits verkauft. Die Preise der noch verfügbaren 18 Ein- bis Drei-Zimmer-Wohnungen mit 35 bis 74 Quadratmeter Wohnfläche des „Tölzer“ reichen von 431.900 Euro bis 909.000 Euro.
 
Nur wenige Meter weiter nördlich baut die MünchenBau nach einem Entwurf von Hild und K in mehreren Bauabschnitten die Steinerei um drei Innenhöfen. Die Fertigstellung des gesamten Gebäudekomplex mit insgesamt 288 Wohnungen in unterschiedlicher Größe ist für 2026 geplant. Der Sendlinger Bezirksausschuss hatte die Bebauung dieses 7900 Quadratmeter großen Grundstücks kritisiert, weil die Stadt versäumt habe, ihr Konzept der Sozialgerechten Bodennutzung (SoBoN) über einen Bebauungsplan durchzusetzen. Mit der SoBoN bürdet die Stadt Bauträgern eine Beteiligung für Erschließungskosten wie Straßen, aber auch für die Baufinanzierung neuer Schulen und Kitas auf. Seit 2021 wird mit der neuen SoBoN zudem der geförderte, preisgebundene Wohnungsbau mitfinanziert. Fraglich ist allerdings, ob der Bauträger mit den zusätzlichen SoBoN-Kosten das Projekt überhaupt gestartet hätte. Aktuell lassen sich Eigentumswohnungen aufgrund der gestiegenen Bauzinsen kaum mehr kostendeckend verkaufen. 
Wie das Beispiel Untersendling zeigt, gerät die verschwenderische Münchner Wohnungspolitik der Gieskanne ohne Fokussierung auf wirklich bedürftige Menschen in Zeiten knapper Haushaltslage und Baukrise zunehmend an ihre Grenzen.
 

 

Wo die Lindwurmstraße in die Plinganserstraße einmündet, liegt auf einer Erhebung die alte Kirche St. Margaret. Am ersten Weihnachtstag des Jahres 1705 metzelten hier Truppen des Kaisers entwaffnete Aufständische nieder. Selbst die in St. Margarethen Geflüchteten wurden samt des Kirchenbaus nicht verschont. Rädelsführer wie Clanze und Kidler, wurden auf dem Marienplatz enthauptet.  

Die heutige Pfarrkirche St. Margarethen entstand 1712 als Nachfolgebau der zerstörten Altsendlinger Kirche (siehe Bild oben). Über dem Eingang zeigt ein Fresko von Wilhelm Lindenschmit die Bauernschlacht von Sendling. Gegenüber, auf der anderen Seite der Lindwurmstraße, steht die 1905 von Carl Ebinghaus gestaltete Plastik des Schmied von Kochel (Bild unten), der Sage nach ein 70-jähriger Hüne, der als letzter der Aufständischen starb.

Ausgelöst wurde der Aufstand der Bauern aus dem Oberland durch die Besetzung Bayerns durch Kaiser Leopold I. nach der Flucht des Kurfürsten Max Emanuel. Dieser hatte im spanischen Erbfolgekrieges gemeinsam mit den Franzosen und Engländern gegen den habsburgerischen Kaiser gekämpft und in der Schlacht bei Hochstädt verloren. Der Habsburger ließ Bayern besetzen und die Bevölkerung durch hohe Steuern und Zwangsrekrutierungen drangsalieren. Nach dem Motto "Liaba bairisch steam, als kaiserlich verdeam“ probten Bauern und Handwerker den Aufstand, der mit dem Tod von 1100 Aufständischen in der Sendlinger Blutweihnacht endete.

Bereits zu dieser Zeit teilte sich Sendling in das dürftig besiedelte Untersendling, Mittersendling und Obersendling entlang der westlichen Isarhangkante. Auch als sich nach dem Bau der Eisenbahn in Obersendling Industriebetriebe wie Krauss-Maffei und Siemens ansiedelten und als 1877 Unter- und Mittersendling in München eingemeindet wurden, glich Untersendling noch einem Dorf.

Im Stemmerhof (Bild links) gegenüber der Pfarrkirche wurde bis 1992 Milchwirtschaft betrieben. Weiter südlich in der Plinganserstraße vermitteln Häuser wie die ehemalige Hufschiede (Hausnummer 9), die Gaststätte Schmiedwirt (11) und das klassizistische Schulgebäude (28 - siehe Bild links unten) noch heute den dörflichen Charakter.

Neues Zentrum von Untersendling ist heute allerdings die Stelle, an der die Albert-Roßhaupter-Straße von der Plinganserstraße nach Westen abzweigt. An der Nordseite der Gabelung dieser zwei Ausfallstraßen hatte 1880 der Wirt Robert Harras seine Ausfluggaststätte eröffnet, nach dem später der Platz benannt wurde. Als im Jahr 1894 die Trambahn entlang der Plinganserstraße errichtet wurde, war es mit der beschaulichen Ruhe Untersendlings vorbei. 

Der Bauboom vom Sendlinger Feld erfasste auch das darüber gelegene Viertel, anstelle des Cafés Harras mit seinem Biergarten entstanden von 1902 bis 1905 Mietshäuser mit Jugendstildekor.

 

Moderne Architektur im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts

Später wurden größere Wohnanlagen errichtet, wie in der nördlich zum Harras gelegenen Lindenschmitstraße. Dort ließ der Bauunternehmer Leonhard Moll 1927 durch das Architektenduo Otho Orlando Kurz und Eduard Herbert eine vierflügelige Wohnanlage inklusive eines terrassentragenden Brückenbogens errichten (siehe Bild links). Die barockisierende Gesamtform und die dekorativen Reliefs über den Eingängen von Adolf Giesin täuschen über die fortschrittlichen Grundrisse der Dreizimmerwohnungen hinweg.

 

 

 

Wahrzeichen des Harras

Äußerlich unübersehbar ist die moderne Architektur dagegen bei dem von Robert Vorhoelzer und Robert Schnetzer entworfenen Postgebäude mit anschließendem Wohnblock am Südrand des Harras (Bild links). Das 1932 erbaute elegante Ensemble gilt als eines der wenigen Münchner Bauten im Stil der Neuen Sachlichkeit und als Wahrzeichen des Harras. Die Genossenschaftswohnungen für Angestellte der Post waren  mit der sogenannten Münchner Küche ausgestattet. Die Wohnküche war nach ergonomischen Gesichtspunkten entworfen und vom Wohnraum durch eine Glaswand abgetrennt.

Der Harras ist heute das pulsierende Herz des langen Bezirksteils Untersend-ling sowie das Stadtteilzentrum von ganz Sendling und den umliegenden Bezirken. Er ist nicht nur Verkehrsknotenpunkt für Autos, sondern Anschlussstelle zu U-Bahn, S-Bahn und Bayerische Oberlandbahn.

Aufgrund der Verkehrsbelastung für die Anwohner wurde der Platz von 2010 bis 2013 nach dem Entwurf des atelier pk für sieben Millionen Euro neu gestaltet. Der Verkehr wurde auf die Südseite des Platzes verlagert, die ehemalige Verkehrsinsel mit der Nordseite verbunden und mit Bäumen und Springbrunnen zu einem Fußgängerbereich umgestaltet. Aufgewertet wird das Viertel zudem durch das neue Sozialbürgerhaus (siehe Bild links) sowie der daran angrenzenden, im Bau befindlichen Schulerweiterung in der Meindlstraße.

Auch entstehen neue Wohnungen. Südlich des Mittleren Rings an der Grenze zu Thalkirchen wird das  Wohnquartier Brennerpark errichtet. Der Abschnitt Bauernbräuweg (Bild links unten) westlich von der S-Bahnhaltestelle Mittersendling wurde von der Baywobau und Terrafinanz bereits fast fertiggestellt. In dem westlichen Bereich zwischen der Werkstadt Sendling, Zechstraße, Fallstraße und Heißstraße (Bild links ganz unten) errichten Baywobau  und Dussmann Wohnbau zudem Eigentums- und Mietwohnungen in mehrgeschossigen Gebäuden. Die Preise der bereits verkauften 124 Eigentumswohnungen der Isar-Terrassen von Dussmann lagen zwischen 4900 und 5800 Euro pro Quadratmeter, die Baywobau bietet noch 20 Wohnungen zu Preisen zwischen 5400 und 5900 Euro pro Quadratmeter an.

An die Anführer des bayerischen Volksaufstands – Johann Clanze, Johann Georg Kidler, Johann Georg Meindl und Georg Sebastian Plinganser – erinnern heute Sendlinger Straßennamen. 

 

Das Viertel in Zahlen

„Sentlinga“ wurde erstmals schriftlich im Jahr 782 erwähnt. Später siedelten sich hier Leibeigene adliger Grundbesitzer an. Im 12. Jahrhundert wurde ein Norpert Sentlinger erwähnt, dessen Familie einen Herrenhof in Sendling hatte und sich danach benannten. Später nahmen die Sentlinger auch Schlüsselstellungen in der Verwaltung Münchens ein, so gehörten sie sogar dem Inneren Rat der Stadt an. Um 1500 starb das Geschlecht der Sentlinger aus. 1877 wurden Unter- und Mittersendling und Sendlinger Haide (heutige Theresienwiese) nach München eingemeindet.

Das ehemalige Dorf Untersendling ist heute einer von zwei Bezirksteilen des 6. Münchner Stadtbezirks Sendling. Im Norden grenzt die Bahnlinie nordöstlich der Pfeuferstraße Untersendling von der Schwanthalerhöhe und dem Westend des 8. Münchner Stadtbezirks ab. Die Hangkante bildet nach Osten die Grenze zum darunter gelegenen Nachbarviertel, dem heute dicht bebauten Sendlinger Feld. Die S-Bahnlinie im Westen grenzt Untersendling vom Land in Sonne und Mittersendling – Bezirksteile des 7. Münchner Stadtbezirk Sendling-Westpark – ab. Im Süden bildet die Steinerstraße die Grenze von Untersendling nach Thalkirchen und südwestlich liegt Obersendling – beides Bezirksteile des südlichsten, den 19. Stadtbezirk von München.

Einwohner: Das ehemalige Arbeiterviertel hat sich zu einem der am dichtesten besiedelten Wohnviertel mit Angestellten und vielen Singles gewandelt. Das Durchschnittsalter liegt unter, der Ausländeranteil über dem Stadtdurchschnitt.

Infrastruktur: Am Harras befinden sich Anschluss zum ÖPNV (U-Bahn, Bus, S-Bahn), Einzelhandel, Gastronomie, Stadtteilbibliothek und Volkshochschule. Grünanlagen sind die Stemmerwiese, die Sportanlagen Untersendling, der Brenner Park. Auch der Westpark und der Flaucher sind nah.

Immobilien: Kaum Angebot an Mietwohnungen in Untersendling, etwas mehr im Sendlinger Feld. Auch das Angebot an Bestands-Eigentumswohnungen ist sehr überschaubar, etwas größer ist das der Neubauwohnungen.

 

Ulrich Lohrer, erstellt am 14.04.2015