
In Münchens Auenland
Hier wohnten einst Tagelöhner und Arbeiter, weil sonst niemand ins Überschwemmungsgebiet wollte. Aus den Klöster entwickelten sich Brauerein. Mit der Verlagerung der Paulaner Brauerei geht die Angst vor Gentrifizierung um. Längst ist die Au ein In-Viertel – aber mit ruhigen Nischen.
Über Münchens Stadtgrenzen hinaus ist der Nockerberg wegen des Starkbierausschanks im Salvatorkeller bekannt. Kabarettisten „derblecken“, machen sich über die meist anwesende Prominenz, wie den Bayerischen Ministerpräsidenten, Münchens Oberbürgermeister oder Mitglieder der Bundesregierung lustig. Die Parodierten zeigen meist gute Miene zum bösen Spiel.
Seit 1634 brauten die Mönche des Paulanerordens im Kloster Neudeck am Nockerberg Bier für den Eigenbedarf, bis schließlich im Zuge der Säkularisierung in Napoleons Zeit das Kloster aufgehoben und das Brauhaus enteignet wurde.
Nächste Woche, am 11. Juni, wird nun ein aufwändiger, mehrstufiger Architektenwettbewerb entschieden, der den Plan für die künftige Wohnbebauung an Stelle der Paulaner Brauerei in Au vorgibt. Die Familie Schörghuber, Mehrheitseigentümer der Brauerei, wird durch die eigene Wohnungsbaugesellschaft Bayerische Hausbau und in enger Abstimmung mit der Landeshauptstadt und den Anwohnern auf den Brauereigrundstücken in der Oberen und Unteren Au zwei völlig neue Wohn- und Geschäftsquartiere errichten.
Geplant sind etwa 1200 bis 1400 Wohnungen für etwa 3000 Menschen sowie soziale Infrastruktur und zirka 16.000 Quadratmeter als Quartierspark. Bis zur Fertigstellung werden einige Jahre vergehen. Erst wenn die neue Brauereianlage in Langwied in drei bis vier Jahren fertig gestellt ist, kann mit dem Abriss der Anlagen und dem Bau des neuen Quartiers begonnen werden.
Erhalten werden soll die von Carl von Linde erfundene riesige Eismaschine sowie der denkmalgeschützte Zacherlbau. Letzterer besteht seit seiner Zerstörung durch Fliegerbomben im Zweiten Weltkrieg eigentlich nur noch aus einer Mauerfassade.
Nur wenige Meter weiter östlich am Auer Mühlbach befindet sich das ehemalige Kloster Neudeck. Nach der Säkularisierung wurde das Gebäude als Gefängnis genutzt, zuletzt bis 2009 als Justizvollzugsanstalt für Frauen und jugendliche Straftäter.
Im Mai 2010 beschloss der Haushaltsausschuss des Bayerischen Landtags den Verkauf des Gebäudes. Die Straßenzeitung BISS wollte den Knast in ein Hotel umbauen, das jungen Menschen aus sozial schwierigen Verhältnissen eine Ausbildung anbietet. Letztlich verkaufte der Freistaat das Gebäude an die höchstbietenden Investoren, die Unternehmensgruppe Engelhardt aus Forchheim und die Leipziger First Single Apartment. Diese wollen dort Studentenapartments einrichten. Weil sich die Planungen für den denkmalgeschützten Bau aber als kompliziert erweisen, verzögert sich der Umbau zur neuen Nutzung.
Gegenüber befindet sich das Wahrzeichen der Au, die 1839 von Joseph Daniel Ohlmüller und Georg Friedrich Ziebland erbaute Mariahilfkirche. Bekannt ist der umliegende Mariahilfplatz wegen der dort dreimal im Jahr stattfindenden Auer Dult, einem Jahrmarkt mit Antiquitätenmarkt. Die Jakobidult findet Ende Juli statt. Das traditionelle und charakteristische Volksfest gibt wie die alten Herbergshäuser für die ehemaligen Tagelöhner dem Viertel ein eigenes Gepräge.
In der Au finden sich noch verschrobene Gestalten und Originale. Karl Valentin wuchs in der Zeppelinstraße auf und "Katsche“ Schwarzenbeck betrieb nach seiner Fußballkarriere über 20 Jahre ein Schreibwarengeschäft in der Ohlmüllerstraße.
Diese eigene Atmosphäre, verbunden mit der Nähe zu der renaturierten Isar und der Altstadt, macht das Viertel so begehrt. Mieten und Kaufpreise sind hier in den vergangenen drei Jahren stark gestiegen. Die Projektentwickler suchen nach Gelegenheiten, die oft erst nach dem Bombenkrieg entstandenen Mietshäuser durch Neubauten zu ersetzen. So errichtet das HSC Realitätenbüro in einem Hinterhof an der Humboldtstaße versteckt einen Neubau (siehe Bild rechts).
Auch am Bereiteranger 15 entstehen an der Stelle eines ehemals gewerblich genutzten Gebäudes Neubauwohnungen. Vermarktet werden die 38 Wohnungen in den drei neu entstehenden Häusern von Bauwerk Capital. Das Angebot reicht vom Studio bis zur Fünf-Zimmerwohnung, die Wohnflächen weisen Größen zwischen rund 50 und 177 Quadratmetern auf. Die Verkaufspreise beginnen bei rund 5600 Euro pro Quadratmeter. „Der Verkaufsstand liegt bei 70 Prozent“, sagt Nicole Papsdorf von Bauwerk Capital. „Die Fertigstellung wird im Mai 2015 erfolgen.“
Weil das Grundstück in einem Erhaltungssatzungsgebiet liegt, müssen vier Neubauwohnungen entsprechend den Vorgaben der Erhaltungssatzung als Mietwohnungen bereit gestellt werden. Damit will die Stadt das Angebot an Mietwohnungen im In-Viertel künstlich hoch und die Mieten auf einem tragbaren Niveau halten. Eine Maßnahme, die allerdings nicht nur ökonomisch ineffizient ist, sondern auch einen Eingriff in die Eigentumsrechte der Bürger darstellt.
Die Stadt tritt aber in der Au über ihre Wohnungsgesellschaft GWG auch selbst als Vermieter auf. Seit über einem Jahrzehnt werden umfangreiche Sanierungen des Mitte der 1950er-Jahre erbauten Wohnungsbestandes durchgeführt. Bereits etwa 190 geförderte Wohnungen für einkommensschwache Bürger und knapp 100 freifinanzierte Mietwohnungen entlang der Lilienstraße wurden saniert. Die Wohnungen an der Schweigerstraße und zwischen der Lilienstraße, dem Auer Mühlbach und dem Paulanerplatz wurden im Grundriss vergrößert, die Gebäude teilweise aufgestockt und mit vorgehängten Balkonen ausgestattet. Zudem wurden energetische Maßnahmen durch die Anbringung eines Wärmedämmverbundsystems sowie durch den Austausch der Fenster, Dächer sowie die Haustechnik durchgeführt.
Übrigens ist auch beim Salvatorkeller nur der Name alt. Als 1999 ein Brand den Keller zerstörte, entstand für 25 Millionen Euro der oberirdische Paulaner Festsaal mit einem Gewölbe „Salvatorkeller“.
Das Viertel in Zahlen
Die Untere Au unterhalb der Isarkante an der rechten Seite der Isar ist ein Bezirksteil des Stadtbezirks Au-Haidhausen. Es wird im Westen durch die Isar von den Bezirken Ludwigsvorstad-Isarvorstadt und Altstadt-Lehel, getrennt. Im Osten grenzt es an die Obere Au, ebenfalls ein Bezirksteil von Au-Haidhausen.
Einwohner: Das Viertel gehört zu denen mit der höchsten Einwohnerdichte. Das Durchschnittsalter der Einwohner der Au liegt unter dem der Münchens, es dominieren Single-Haushalte.
Infrastruktur: Die renaturierte Isar und das Gebiet am Auer Mühlbach bietet viele grüne Nischen und hohen Freizeitwert. Mit dem Deutschen Museum befindet sich eines der bedeutendsten Museen am Viertel. Durch die Nähe zur Altstadt besteht Anbindung an das Einkaufszentrum der Stadt.
Immobilien: Die Mieten neu angebotener Wohnungen sind sehr stark gestiegen. Sanierter Altbau ist als ETW noch teurer als die wenigen Neubauwohnungen.