
Wallfahrt nach Ramersdorf
Auf einer Wiese nördlich der Wallfahrtskirche St. Maria Ramersdorf begann in München 1928 mit der Großsiedlung Neuramersdorf der der soziale Wohnungsbau. In den Folgejahren entstanden weitere Wohnanlagen und Einfamilienhaus-Siedlungen. Heute bietet das Viertel vielfältige Wohnformen.
Urkundlich wurde die Kirche St. Maria in Ramersdorf erstmals im 11. Jahrhundert erwähnt, sie gilt als eine der ältesten Wallfahrtsstätten Bayerns. 1360 schenkte der Kirche ein Sohn des Kaisers Ludwig der Bayer eine Kreuzreliquie, die Ausgang der Wallfahrt wurde.
Heute vermittelt die Aribonenstraße mit Maria Ramersdorf, dem von Nonnen gepflegten Garten am Benefiziatenhaus, dem ehemaligen kurfürstlichen Jagdhaus (Bild rechts), und dem Biergarten des Alten Wirts (Bild links) einen dörflichen Charakter – obwohl nur wenige Meter davon entfernt der Verkehr des Mittleren Rings tost. Doch von der Großstadt ist bei dem alten Ortskern von Ramersdorf mit seiner malerischen Baugruppe von großer historischer und städtebaulicher Bedeutung, mit Kirche und Kirchhof sowie den ländlich-vorstädtischen Häusern der späten Gründerzeit, kaum etwas zu vermuten.
In Ramersdorf begann der soziale Wohnungsbau in München
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs herrschte in der Stadt aufgrund der Landflucht und den heimkehrenden Soldaten große Wohnungsnot. Mit der von der Reichsbank ausgelösten galoppierende Inflation versuchte sich der deutsche Staat seiner Schulden zu entledigen. Die Ersparnisse der Bürger und Unternehmen wurden durch die Hyperinflation aufgezehrt, weshalb sie als Investoren für den Wohnungsbau ausfielen. Erst mit der Einführung der Rentenmark unter Reichskanzler Gustav Stresemann wurde die Inflation beendet und Deutschland wieder kreditwürdig. Auch Münchens Bürgermeister Karl Scharnagl (Bayerischen Volkspartei) konnte für die Stadt Anleihen in den USA begeben und ein Wohnungsbauprogramm mitfinanzieren. Der neue Wohnungsreferent, Karl Preis (SPD), hatte es ausgearbeitet und den Stadtrat überzeugt, für die Durchführung die Gemeinnützige Wohnungsfürsorge A.G. (GEWOFAG) zu gründen.
Eine der neuen Großsiedlungen war die auf der grünen Wiese nördlich von St. Maria zwischen 1928 und 1931 errichtete Anlage Neuramersdorf. Etwas weiter südlich waren bereits zwischen 1907 und 1926 vom Verein für Verbesserung der Wohnungsverhältnisse in München die malerischen Wohnanlagen am Loehleplatz in abwechslungsreicher Gestaltung nach Theodor Fischers Staffelbauplans entstanden (Bild links).
Die „neue Stadt“ wurde nach Plänen der Architekten Oscar Delisle und Richard Berndl in wesentlich größeren Dimensionen errichtet. Die zwei durch die Anzinger Straße und Bad Schachener Straße getrennten Blockbebauungen mit dahinter befindliche Zeilenbauten wiesen 3500 Wohnungen auf (siehe Bild links: GEWOFAG-Wohnanlage bei Melusine am Karl-Preis-Platz). Karl Preis hatte Neuramersdorf sogar noch größer geplant. So sollte ein Hochhaus das urbane Zentrum markieren. Doch die Weltwirtschaftskrise und die geringen Mieteinnahmen stoppten den Ausbau.
Architekten wechseln die Front zu den Nazis
1933 wurde Karl Preis von den Nationalsozialisten seines Amtes enthoben, der Architekt Guido Harbers übernahm das Wohnungsreferat. Auch unter dem neuen Regime wurde Neuramersdorf ausgebaut und die Siedlung zwischen 1936 und 1941 um den Piusplatz herum deutlich erweitert.
Harbers hatte bei Theodor Fischer Architektur an der Technischen Hochschule (heute TUM) in München studiert und sein Studium mit Auszeichnung abgeschlossen.
Seine Karriere begann er im Baureferat der Oberpostdirektion bei Robert Vorhoelzer und baute zahlreichen Postbauten. Die Postbauschule im Stil der Neuen Sachlichkeit war einer der wenigen an der modernen Architektur ausgerichteten Bauträger in dieser Zeit im sonst sehr konservativ ausgerichteten München. Im Oktober 1925 wechselte Harbers nach einer kurzen Zwischenstation in der Obersten Baubehörde des Innenministeriums, (dort war er für die Planung und Konzeption der Deutschen Verkehrsausstellung 1925 in als Oberbaumeister zuständig) in das Hochbauamt der Stadt München unter Fritz Beblo. In der Folgezeit wandte sich Harbers jedoch mit der Ausnahme von der Innenarchitektur von der Architektur der Moderne ab und favorisierte eine mehr traditionelle Formensprache. Als NSDAP-Mitglied und Schwager des NS-Funkionärs Hermann Esser, kletterte Harbers nach Hitlers Machtergreifung die Karriereleiter hoch.
NS-Mustersiedlung wird Propaganda-Flop
Unter Harbers Gesamtplanung entstand für die „Deutsche Siedlungsausstellung“ auch die Mustersiedlung Ramersdorf südlich von Neuramersdorf und westlich des alten Dorfkerns als Verkörperung des nationalsozialistischen Siedlungsgedankens (siehe Bild links).
Die 192 Einfamilienhäuser mit 34 unterschiedlichen Bautypen wurden zwischen großzügigen Grünflächen nach Plänen von Architekten wie Franz und Sep Ruf, Theo Pabst und Hanna Löv in Rekordzeit erbaut. Die Häuser galten mit Wohnflächen zwischen 56 bis 129 Quadratmeter nach damaligen Verhältnissen als groß und waren nach dem Geschmack der Nazis zu modernistisch. Nach der Ausstellung wurden die Häuser als Eigenheime für 12.000 bis 26.000 Mark verkauft. Dies war für Arbeiter und Angestellte damals zu viel, weshalb die erhoffte Propagandawirkung ausblieb.
Schon eher im Sinne der Nazis war die ebenfalls von Harbers geplante, zwischen 1936 bis 1938 errichtete Siedlung Echarding, bei der Bad-Schachener-Straße (Bild links). Bei der Auswahl der Bewohner der 611 nur 32 Quadratmeter großen Volkswohnungen der "Maikäfersiedlung“ hatte die Kreisleitung der NSDAP ein Wörtchen mitzureden.
Starke Bautätigkeit in der Nachkriegszeit
Auch direkt nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Ramersdorf durch weitere Wohnquartiere wie der GWG Wohnanlage in der Hechtseestraße, der amerikanischen Siedlung Neu-Ramersdorf, der GEWOFAG Wohnanlage Ramersdorf Mitte und GWG-Wohnanlage Ramersdorf Süd weiter verdichtet.
Danach kommen allerdings aufgrund der dichten Bebauung nur noch vereinzelt neue Wohnhäuser hinzu. Aktuell entsteht im Süden von Ramersdorf das Mehrfamilienhaus Görzer99 der Nürnberger Project-Immobilien Wohnen AG mit 24 Eigentumswohnungen und Wohnflächen von 39 bis 106 Quadratmeter. Die Preise der Wohnungen reichen von 5400 bis 6100 Euro pro Quadratmeter. Auch im Nordosten Ramersdorf baut der Bauträger: In der Hechtseestraße 62 nahe dem Michaelibad am Ostpark errichtet Project Immobilien vier Mehrfamilienhäuser mit 31 Eigentumswohnungen, die bereits im Sommer 2014 in den Vertrieb gingen.
Die Baywobau hat den Baustart einer Wohnanlage mit der Bezeichnung Via Maria mit 2- bis 4-Zimmer-Wohnungen für diesen Sommer angekündigt. Und Walser Projekt Management errichtet zwischen Chiemgaustraße und Peter-Henlein-Straße Wohnungen, die allerdings bereits verkauft sind.
In der Balanstraße 119 bietet Pro Secur Neubauwohnungen zum Mieten für 13,25 Euro pro Quadratmeter. Ein Haus mit vier Eigentumswohnungen baut Kroner-Bau in der Forsterstraße 3. Die 120 bis 134 Quadratmeter großen Wohnungen kosten um die 6300 Euro pro Quadratmeter. Creativ-Haus errichtet in der Zinnebergstraße ein Wohnhaus – eine 110-Quadratmeter-Wohnung wird dort für 660.000 Euro angeboten.
Solche Wohnungsgrößen und Preise liegen wohl über dem Niveau, das den Stadtplanern Preis und Harbers zur Beseitigung der Wohnungsnot vorgeschwebt haben dürfte.
Das Viertel in Zahlen
Ramersdorf wurde als Rumoltesdorf in den Jahren 1006 bis 1022 erstmals in einer Freisinger Urkundenabschrift erwähnt. Die Wortendung „-dorf“ deutet aber darauf hin, dass bereits in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts eine Siedlung bestanden haben könnte. Auch wurden einzelne Mitglieder der Familie Rumoltes seit dem 8. Jahrhundert urkundlich bezeugt. Vom 13. bis zum 16. Jahrhundert werden verschiedene Ministerialien- geschlechter und Patrizier- familien als Eigentümer der Höfe genannt; manche dieser Besitztümer wurden auch als Stiftungen der Kirche übergeben, bis sie während der Säkularisation in Napoleons Zeit wieder in weltlichen Besitz übergingen. Von 1818 bis zur Eingemeindung nach München 1864 war Ramersdorf eine eigene Gemeinde. Eine weitreichende Umgestaltung des Stadtteils entstand Ende der Weimarer Republik und während der Herrschaft des Nationalsozialismus.
Ramersdorf ist heute einer und der nördlichste der fünf Bezirksteile des 16. Münchner Stadtbezirks (Ramersdorf-Perlach). Im Norden grenzt es entlang der Linie Rosenheimer Straße, Anzinger Straße und Bad-Schachener-Straße an den Stadtbezirk Berg am Laim, entlang des Ostparks an das Nachbarviertel Neuperlach und südlich der Ständlerstraße an Altperlach. Im Westen befindet sich das Nachbarviertel Balanstraße-West.
Einwohner: Der Stadtteil ist dicht besiedelt und weist eine Altersstruktur- und Verteilung der Haushaltsgrößen auf, die in etwa dem des Stadtdurchschnitts entspricht.
Infrastruktur: Es gibt drei U-Bahnhöfe (Karl-Preis-Platz, Innsbrucker Ring, Michaelibad) mit Anschluss an die U2 oder U5. Durch den Mittleren Ring und die A8 ist zudem für einen guten Autoverkehrsanschluss gesorgt. Markantes Gebäude ist die in den Jahren 1915–1918 nach Entwürfen des Münchner Stadtbaurats Robert Rehlen im Stil des Historismus (Bild oben links) errichtete und von Hermann Leitenstorfer nach Osten erweiterte Grundschule an der Führichstraße. Aktuell entsteht daran anschließend Richtung Innsbrucker Ring ein weiteres Schulgebäude. Mit dem Ostpark und dem Michaelibad sind Freizeit- und Grünflächen vorhanden. Einkaufsmöglichkeiten bestehen in der Rosenheimer Straße und Bad-Schachener-Straße.
Immobilien: Bezogen auf Anzahl der Bestandsimmobilien im Viertel ist das Angebot an Eigentums- und Mietwohnungen gering. Große Preis- und Mietabschläge entlang der Hauptverkehrsstraßen.
Literatur:
Erich Kasberger: Unsere Jahre in Ramersdorf und Berg am Laim – Die Siedlung Neu-Ramersdorf und ihre Geschichte, Volk-Verlag
Erstellt am 10.06.2015 von Ulrich Lohrer