Neuperlach: Geliebte Satellitenstadt

In Neuperlach wird wieder gebaut. Mit dem Kulturquartier soll endlich das langersehnte Stadtteilzentrum entstehen. Auch neue Wohnquartiere werden gebaut. Trotz vieler Hochhäuser wissen viele Bewohner ihren Stadtteil mit den Grünanlagen zu schätzen.

 

Am 11. Mai 1967 legten  Städtebauminister Lauritz Lauritzen (SPD), Staatsminister Alois Hundhammer (CSU) und Münchens Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel (SPD) den Grundstein für Münchens größte Stadtviertel, der Entlastungsstadt Neuperlach. 
Heute verbinden viele mit Neuperlach Beton: Wohnhochhäuser, das Einkaufszentrum pep, die Siemens-Bauten am Otto-Hahn-Ring:  überall Beton. Doch das Image des Bezirksteils von außen ist viel schlechter, als das von vielen Bewohner von Neuperlach. Mittlerweile prägt ein gewachsener Baumbestand Alleen wie die Carl-Wery-Straße und die Grünanlagen, auch zeichnen sich viele Wohnungen durch einen guten Schnitt und in den oberen Wohngeschossen durch eine Aussicht bis zu den Alpen und über die Stadt hinaus aus.
 
Voraussetzung für den Bau von Neuperlach und andere Münchner Großsiedlungen wie Fürstenried, Hasenbergl oder Neuforstenried war der am 25. November 1960 vom Münchner Stadtrat beschlossene „Gesamtplan zur Behebung der Wohnungsnot in München“.  „Über den Plan und seine Ziele herrschte im Stadtrat eine fast völlige Einigkeit“, erinnerte sich der 2020 verstorbene Hans-Jochen Vogel 57 Jahre später in einem Interview mit „Hallo München“. 

Das aus Großwohnsiedlungen zusammengesetzte Quartier, östlich des alten Dorfes Perlach, auf der ehemaligen Perlacher Haid gelegene, ist eine der größten deutschen Satellitenstädte. Zur Linderung der Wohnungsnot, der sich die in den 1950er-Jahren rapide wachsende Stadt München gegenübersah, wurde die Errichtung der „Entlastungsstadt Neuperlach“ forciert. Die Hauptplanung oblag Egon Hartmann, der bereits als 31-Jähriger die Stalinalle in Ostberlin entworfen hatte und drei Jahre später von der DDR in die Bundesrepublik geflohen war. Im Münchner Baureferat leitete er die Erstellung der Planungsstudie und des Strukturplanes für die Satellitenstadt mit geplanten 80.000 Einwohnern. Mit der Koordination der baulichen Umsetzung wurde das Gewerkschaftsunternehmen Neue Heimat beauftragt. Nach der Grundsteinlegung wurden rasch die Baugebiete Nord, Nordost und Ost zwischen dem Ostpark und der Ständlerstraße fertiggestellt.

Für das Zentrum Neuperlachs mit zahlreichen Geschäften, Arbeitsstätten und kulturellen sowie sozialen Einrichtungen wurde ein städtebaulicher Wettbewerb 1968 zugunsten des jungen Berliner Architekten Bernt Lauter entschieden. Sein Plan sah einen gewaltigen, achtseitigen Ring aus Wohnhäusern vor, der bis zu einer Höhe von 18 Stockwerken aufsteigen und eine Freifläche von etwa 400 bis 500 Metern Durchmesser fortsetzen sollte. Ein Bürgerhaus  mit Stadtbibliothek, ein Künstlerhof mit Ateliers, ein Kinozentrum und sogar das Richard-Strauss-Konservatorium mit Konzertsälen sowie Kirchen waren innerhalb des „Wohnrings“ vorgesehen. Ein Hallenbad und eine Eislaufhalle sollten in der Nähe ihren Platz finden.

Doch es kam nicht dazu: Die kulturellen Einrichtungen wurden stattdessen im neuen Gasteig errichtet, die Sportanlagen entstanden wegen der Olympischen Sommerspiele im Olympiapark.  Trotz Protest der Planer Hartmann und Lauter wurde Neuperlachs Stadtteilmittelpunkt radikal degradiert.

 

Heute wohnen in Neuperlach zwar nicht wie geplant 80.000 Einwohner, sondern knapp 50.184 Menschen. Das Viertel ist auch nicht wegen der kulturellen Einrichtungen bekannt, sondern vor allem wegen des Einkaufscenters Neuperlach - PEP, das östlich an Lauters achtseitigem Wohnring anschließt (Bild ganz oben rechts).

 

Neuperlach bekommt endlich sein Zentrum

Zum 50. Jubiläum der Grundsteinlegung von Neuperlach kam auch Hoffnung auf, dass die Bewohner das lang-ersehnte Stadtteilzentrum bekommen sollten. Den Wettbewerb dazu hatten die Wiener Architekturbüro Delugan Meissl den Realisierungswettbewerb mit einem spektakulären Entwurf gewonnen: Delugan Meissl hatten ein architektonisch markanter Blickpunkt vorgesehen: ein trapezförmiger Turm auf solidem mehrstöckigem Sockel, sollte durch ein „Flugdach“ mit dem Bau der Städtischen Wohnbaugesellschaft Gewofag verbunden werden (Visualisierung links). Im Turmkomplex unterkommen sollten Kultur- und Festspielhaus sowie eine Bibliothek.

 

Doch 2019 übernahm das Baureferat statt ein privater Investor die Planung und strich das Flugdach und das Festspielhaus. Mittlerweile sind immerhin große Teile der GEWOFAG-Wohnanlage sowie des Bauträgers BHB an der Fritz-Erler-Straße fertiggestellt (Bild links), gegenüber dem pep entsteht das Kulturquadrat mit Kulturzentrum, Geschäften des täglichen Bedarfs, Cafés und zahlreichen Grünflächen. Dies wird die neue Mitte Neuperlachs. Teil davon ist das entlang der Thomas-Dehler-Straße und der Von-Knoeringen-Straße entstehende Perlach Plaza nach Plänen des Wiener Architekturbüros AllesWirdGut. BHB errichtet dort Mietwohnungen, Concrete Capital für 250 Millionen Euro hinter Rundbögen Flächen für Einzelhandel und Dienstleistungen.

Im Osten, wo Neuperlach an bislang unbebaute Wiesen grenzte, entwickelten die Büschl Unternehmensgruppe und die Demos Wohnbau auf einem 13 Hektar großen Gebiet zwischen Karl-Marx-Ring und Friedrich-Creuzer-Straße ein neues Wohnquartier  ein neues Wohnquartier mit rund 1300 Wohnungen für mehr als 3000 Bewohner. Demos hat ihr „Alexisquartier – Wohnen am Park“ einen Teil davon fertiggestellt. Auch die Kölner Pandion baut am Alexisweg eine große Wohnanlage namens Pandion Verde.

Ein weiteres Projekt soll auf dem sieben Hektar großen ehemaligen Siemens-Parkplatz zwischen Carl-Wery-Straße (Westen) und dem Otto-Hahn-Ring entstehen. Der Projektentwickler RFR Development will nach Plänen des Architekten Rupprecht Biedermann eine Gesamtgeschossfläche von 80.000 Quadratmeter, vorwiegend für Wohnnutzung in rund 750 Wohneinheiten, errichten.

Münchens Stadtbezirksteil mit den meisten Einwohnern war für Hans-Jochen Vogel eine Erfolgsgeschichte: „Und zwar vor allem deshalb, weil die Menschen dort gerne leben und sich Zuhause fühlen.“

 

 

 

Das Viertel in Zahlen

Neuperlach ist ein Bezirksteil des Münchner Stadtbezirks Ramersdorf-Perlach. Nach Norden grenzt es an den Bezirk Berg am Laim, sowie am die Gartenstadt Trudering, nach Westen zu dem Nachbarsvierteln Ramersdorf und Altperlach und nach Osten an Waldperlach. Im Süden befindet sich die Gemeinde Neubiberg.

Einwohner: In Neuperlach wohnen viele Familien mit Kindern. Der Altersdurchschnitt entspricht dem der Stadt, der Ausländeranteil ist überproportional hoch. 

Infrastruktur: Anbindung an U-Bahnlinien U2 und U8 sowie S-Bahnlinie S 6 (Neuperlach Süd). Sehr gute Einkaufsmöglichkeiten durch das PEP. Größere Grünflächen am Ostpark. Sieben Grundschulen, zwei Hauptschulen, drei Realschulen und zwei Gymnasien sowie die Europäische Schule.

Immobilien: Im Stadtvergleich ist Wohnen in Neuperlach nicht mehr günstig, Neubauwohnungen werden etwa von 8000 bis 9000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche angeboten, auch sanierte Bestandswohnungen liegen bei 8000 Euro. 

Im Mietspiegel ist das mittlere und nördliche Gebiet Neuperlachs inklusive des Wohnrings als "durchschnittliche Wohnlage" eingestuft. Südlich davon, also südlich der Linie Schumacherring, Pflanzeltplatz und Hochäckerstraße und westlich der Assmanstraße gilt dieses Wohngebiet sogar als "gut".

Bildnachweis: Visualisierung - © Delugan Meissl Associated Architects, sonst: Ulrich Lohrer

Text: Ulrich Lohrer, 6.07.2021