
Wandel durch Handel
Mit rabiaten Methoden wurde München Handelsmetropole. Der Petersbergerl und die Pilgerkirche Sankt Jakob im heutigen Angerviertel bildeten der Ausgangspunkt der Stadt, die bald durch Märkte und Messen Händler und neue Bewohner anzog. Auch heute bestimmt der Handel und weniger das Wohnen in dem Altstadtviertel.
Um sich durch Handel zu bereichern, ließ Heinrich der Löwe 1157 den Anger München errichten. Dafür ließ der Welfenherzog die Oberföhringer Brücke des Freisinger Bischofs Otto zerstören und an der Stelle des heutigen Deutschen Museums eine eigene Holzbrücke errichten.
„Als Keimzelle der Siedlung dürfte die südlich des Marienplatzes auf dem hochwasserfreien Petersbergerl gelegene Kirche St. Peter anzusehen sein“, so der Kulturhistoriker Heinrich Habel. „Der andere Siedlungskern bildete die Pilgerstation Jakobskirche am Anger.“
St. Peter über dem Viktualienmarkt und der Sankt-Jakobs-Platz sind auch heute das Zentrum des Angerviertels. Von Heinrichs brutaler Brückenzerstörung, die Kaiser Barbarossa im Augsburger Schied nachträglich legitimierte, profitierte die Siedlung am Petersbergerl. Durch Gewerbe und dem lebhaften Handel mit Salz, Wein und Tuch sowie durch die Dult am Anger, der Messe für Fernhandel, angelockt, siedelten sich hier immer mehr Menschen an. München wurde bereits 1214 erstmals als Stadt erwähnt und bald Residenzstandort der bayerischen Herzöge. Zentrum des Handels blieb das Viertel um den Sankt-Jakobs-Platz, in dessen Nähe sich auch bald der Rindermarkt und später auch der Viktualienmarkt mit der Schrannenhalle befand.
Das Viertel bewahrte lange seinen mittelalterlichen Charakter, bis Anfang des 20. Jahrhunderts der Südwesterand mit städtischen Großbauten ein neues Gesicht erhielt: 1904 wurde die vom Bauamtmann Carl Hocheder in seinem Münchner-Barockstil gestaltete Hauptfeuerwache gegenüber dem Marionettentheater von Theodor Fischer fertig gestellt. Bis 1929 entstand das Technische Rathaus von Hermann Leitenstorfer mit Münchens erstem Hochhaus.
Im Zweiten Weltkrieg wurde das verwinkelte Viertel zwischen Sendlinger Tor, Marienplatz und Isartor weitgehend durch Bombenhagel zerstört. St. Peter wurde zwar durch Erwin Schleich wieder aufgebaut, auch Teile um den Viktualienmarkt wurden wieder errichtet. Der Oberanger fristete jedoch lange ein Schattendasein. Ein Beton-Parkhaus und lieblose Nachkriegsbauten prägten die stark frequentierte Autostraße.
Ein Viertel macht sich hübsch Dieses Bild hat sich radikal geändertet: Am Rindermarkt entstand nach dem Entwurf von Hans C. Seidlein Anfang des Jahrtausends ein elegant geschwungenes Bürogebäude zwischen Löwenturm und Rosental. Schräg gegenüber davon wurde 2001 das Konen mit seiner auffälligen Glasecke im Stile von Erich Mendelsohns Schocken-Kaufhäuser fertig gestellt (Architekten Blocher & Partner).
Die größte Änderung erfuhr aber der Sankt-Jakobs-Platz: Gegenüber dem Stadtmuseum wurde nach den Plänen von Wandel Hoefer Lorch die neue Synagoge und das jüdische Museum. Anstelle des Parkhauses errichtete der Bauträger Wöhr + Bauer für 150 Millionen Euro bis 2009 nach Plänen von Otto Steidle den Angerhof (Bild rechts). Hier befindet sich seither die Konzernzentrale von Linde und darüber die damals teuersten Penthouses (15.000 Euro pro Quadratmeter) der Stadt. Der Oberanger bekam auch durch eine neue Straßenführung mit Grünanlagen und durch elegante Neu- und Umbauten um eine neue Erscheinung.
Gerade entsteht via Orag-Haus am Oberanger 16 ein neues Geschäftshaus nach einem Entwurf der Berliner Staab Architekten (Bild links). „Der Neubau soll zu einer absolut hochwertigen Adresse werden, die dem Anspruch ihres herausragenden Umfeldes gerecht wird“, so das Preisgericht des Architektenwettbewerbs 2012. Im Erdgeschoss und im ersten Untergeschoss errichtet der Eigentümer Ladenflächen (Objektgesellschaft Oberanger 16/DC Values) um die Passantenströme zwischen dem neuen Quartier Hofstatt und dem Jakobsplatz und Viktualienmarkt optimals auszunutzen.
Eine größere Durchlässigkeit zwischen den Einkaufsmeilen soll das Geschäft der Einzelhändler verbessern. 2009 eröffnete die im Auftrag der Firma Kustermann erbaute Passage zwischen Rindermarkt und Viktualienmarkt mit dem vielbeachteten Hotel Louis (Hild und K Architekten). Bereits 2005 wurde der ehemals erste Eisenkonstruktionsbau Münchens – die 1853 von Karl Muffat errichtete Schrannenhalle am Viktualienmarkt – wiederaufgebaut.
Die Neubauten haben zwar das Angerviertel verändert, aber kaum Wohnraum geschaffen. Eine der wenigen Wohnungen stellte die Baywobau gemeinsam mit der WPG Projektentwicklung vor gut einem Jahr in der Westenriederstraße 10 -12 beim Sedlmayr fertig (Bild rechts). Die 14 Luxuswohnungen weisen eine Größe von 80 bis 220 Quadratmeter auf und wurden zur Miete angeboten. Die Quadratmetermiete: um 24 Euro.
Im Angerviertel – das Altstadtviertel mit den meisten Einwohnern – zu leben, können sich nur wenige leisten. Auch 856 Jahre nach der Gründung durch Heinrich dem Löwen kommen die meisten Menschen hierher zum Einkaufen.
Der Freisinger Bischof erhielt übrigens späte Genugtuung: Als Heinrich der Löwe 1180 vom Kaiser geächtet wurde, fiel München ihm zu.
Das Viertel in Zahlen
Das Angerviertel in der Münchner Altstadt ist wie ein Haken geformt. Es bildet heute mit drei weiteren Altstadtviertel, dem Lehel sowie dem Bezirksteil Englischer Garten Süd den ersten Münchner Stadtbezirk, Altstadt-Lehel. Im Nordwesten zwischen Sendlinger Tor und Marienplatz, bildet die Sendlinger Straße die Grenze zum benachbarten Hackenviertel. Im Norden grenzt zwischen Marienplatz und dem Isartor entlang dem Tal die Graggenau an. Am Isartor stößt das Viertel im Osten auch auf einen kleinen Bereich des Lehels. Die Südgrenze zum Bezirk Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt bildet die Frauenstraße zum Gärtnerplatzviertel sowie entlang der Müllerstraße/Blumenstraße bis zum Sendlinger Tor das Glockenbachviertel.
Einwohner: Unter den Bewohnern befinden sich sehr viele Singles. Das Durchschnittalter der Viertelbewohner liegt unter dem der Stadt, der Ausländeranteil ist deutlich höher als im Münchner Durchschnitt.
Infrastruktur: Das Altstadtviertel ist an die S-Bahn-Stammstrecke (Marienplatz, Isartorplatz) und das U-Bahn-Netz (Marienplatz, Sendlinger Tor-Platz) hervorragend angebunden.
Mit der Münchner Altstadt steht eines der größten Einzelhandelszentren Deutschlands zur Verfügung. Direkt im Viertel befindet sich der Viktualienmarkt, der bekannteste unter Münchens Märkten für Lebensmittel (Viktualien) und ein beliebter Touristentreff. Er findet täglich, außer an Sonn- und Feiertagen, statt und besteht größtenteils aus festen Ständen.
Im Nordwesten des Viertels, entlang der Grenze zum Hackenviertel verläuft mit der Sendlingerstraße eine der wichtigsten Einkaufsmeilen. Erst vor wenigen Monaten wurde dort das neue Einzelhandels- und Geschäftsquartier Hofstatt eröffnet.
Immobilien: Wohnungen im Angerviertel in der Münchner Altstadt sind nicht nur sehr teuer, sondern werden auch kaum angeboten. Die Mieten für Bestandswohnungen liegen bei 15 Euro, für Neubauwohnungen bei 23 Euro pro Quadratmeter. Laut dem Mietspiegel der Landeshauptstadt München 2013 wird das gesamte Angerviertel als Gegend mit guter Wohnqualität eingestuft.
Eigentumswohnungen werden noch seltener angeboten. Im Herbst 2013 lag der Durchschnitt der Angebotspreise für Bestandswohnungen in der Altstadt laut Auswertung des Angebotsportal immobilienscout24 bei knapp 6100 Euro pro Quadratmeter. Gegenüber dem 3. Quartal 2012 entsprach der Preisanstieg zum 3. Quartal 2013 gut zwölf Prozent.
Bilder:
Visualisierung Oberanger 16: Staab Architekten/Objektgesellschaft Oberanger 16/DC Values; sonst: Ulrich Lohrer