Kanzlerbungalow: Sep Ruf schuf eine neue Form von Staatspräsentation

Sep Ruf zählt zu den bedeutendsten deutschen Architekten des 20. Jahrhunderts. Irene Meissner, seit 2001 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Architekturmuseum der TU München, hat in ihrer Doktorarbeit Rufs Arbeiten untersucht. Nun ist das Standardwerk erschienen. Immobilienreport sprach mit Irene Meissner über seine Werke und seiner Verbindung zu Ludwig Erhard. In seinem Kanzlerbungalow wohnten die Bundeskanzler und trafen sich mit anderen Regierungschefs. 

 

immobilienreport: Frau Meissner (kleines Bild rechts unten), warum haben Sie Ihre Doktorarbeit über Sep Ruf (siehe Bild links mit Ludwig Erhard) geschrieben?

Irene Meissner: Schon während meines Architekturstudiums haben mich die Bauten von Sep Ruf begeistert. 2008 haben wir zum 100. Geburtstag von Sep Ruf eine große Ausstellung im Architekturmuseum der TU München in der Pinakothek der Moderne organisiert und diese Ausstellung war schließlich der Anlass für meine Dissertation.

Im Zuge der Vorbereitung hat Professor Winfried Nerdinger eine Matinee an der Bayerischen Akademie der Schönen Künste zu Ehren von Sep Ruf veranstaltet und so erhielten wir den Kontakt zur Familie Ruf, die einen Großteil des Nachlasses aufbewahrt, den ich dann für meine Dissertation erstmals auswerten konnte. Der Einstieg in meine Arbeit lieferte das Buch von Hans Wichmann „In memoriam Sep Ruf“, das noch Sep Ruf initiiert hatte, aber das dann erst nach seinem Tod, 1985 erschien. Eine weitere wichtige Quelle war eine umfangreiche Dokumentation eines von Professor Uwe Kiessler 1993/94 veranstalteten Seminars an der TU München über Sep Ruf .

immobilienreport: Ruf fällt als einer der ganz wenigen Vertreter moderner Architektur in München auf. Dabei war er während des Studiums Ende der 1920er-Jahre ein Schüler von Germann Bestelmeyer, einem Exponenten der konservativen Architektur. Wurde Ruf über die wenigen Vertreter der Moderne unter den Professoren, wie Adolf Abel oder Robert Vorhoelzer, beeinflusst?

Meissner: Ruf studierte von 1926 bis 1931 an der TH München. Als er im Hauptsudium war, unterrichtete Theodor Fischer nicht mehr und Vorhoelzer war noch nicht berufen. Abel, Fischers Nachfolger, kam erst, als Ruf bereits kurz vor dem Diplom stand.

Ruf wurde im Hinblick auf moderne Architektur von seinem Münchner Umfeld geprägt, insbesondere durch die Bauten, der von Vorhoelzer begründeten Postbauschule. Während seines Studiums hatte Ruf im Architekturbüro von Theo Lechner und Fritz Norkauer gearbeitet, die 1927 eines der ersten Flachdachwohnhäuser in München auf der Ausstellung „Bayerisches Handwerk“ errichtet hatten. Theo Lechner, mit dem Ruf sich anfreundete, vertrat zunächst eine moderne Architekturauffassung, er, aber insbesondere Fritz Norkauer sympathisierten später mit dem Nationalsozialismus.

immobilienreport: Auch Ruf hat als junger Architekt in München während der Zeit des Nationalsozialismus viel gebaut, darunter öffentliche Bauten wie die Gebirgsjägerkaserne in Murnau und Hallen für Rüstungsfirmen wie die Hugo-Junkerswerke. Wie eng war er mit dem NS-Regime verbandelt?

Meissner: Die Kaserne ist erst in den 1940er-Jahren entstanden, ebenso die Planung für die Junkerswerke, die dann wegen dem Kriegsverlauf nicht mehr ausgeführt wurde. Ruf war kein Parteimitglied, wollte aber als junger Architekt natürlich bauen. Ab 1933 waren alle Architekten, wenn sie ihren Beruf ausüben wollten, gezwungen, sich in der Reichskulturkammer registrierten zu lassen und beispielsweise wurden dann auch keine Flachdachbauten mehr genehmigt. Ruf arrangierte sich mit der Situation.

Zunächst hatte er zahlreiche Privataufträge, schuf Wohnhäuser mit geneigten Dächern, die er mit dem Baukörper zu kubischen Blöcken verschmolz, wobei er regionale Elemente geschickt mit asymmetrischer Fassadengestaltung oder Fensterbändern kombinierte. Aufgrund seiner zahlreichen Aufträge unterhielt er in München gleich zwei Büros, ein Atelier, wo er entwarf und auch wohnte, und ein Büro wo dann die Entwürfe zur Baureife ausgearbeitet wurden. Seine Wohnung war ein klares Bekenntnis zur Moderne. Er richtete sie mit Stahlrohrmöbeln ein, wie das kurz zuvor auf der Stuttgarter Weißenhofsiedlung einer breiten Öffentlichkeit als zukunftsweisende Wohneinrichtung vorgeführt worden war. Mit dem Haus Schwend für den Redakteur Karl Schwend in Bogenhausen konnte Ruf dann sogar nach der Machtergreifung noch ein Haus bauen, das hinter hochgezogenen Mauern wie ein flach gedeckter Bau wirkte. Erst als Hitlers Geliebte Eva Braun 1936 in das schräg gegenüberliegende Haus an der Delpstraße einzog, erregte das Wohnhaus, das sich radikal von der Nachbarbebauung abhob, Aufmerksamkeit. Ruf und auch Karl Schwend mussten sich gegenüber der Baubehörde deshalb rechtfertigen.

immobilienreport: Nach dem Krieg lernten sich der damalige Wirtschaftsminister Ludwig Erhard und Sep Ruf kennen. Erhard, der Vater des deutschen Wirtschaftswunders, wollte sich ein Landhaus errichten lassen. Es sollte aber kein „Häuserl“, sondern etwas „Architektonisches“ sein. Wie kam es, dass Erhard dafür Ruf beauftragte (links: Erhard vor seinem Haus in Gmund).

Meissner: Ruf kannte Erhard über seinen Nachbarn am Tegernsee, den Architekten Willi Feldmann, den Erhard hin und wieder während des Krieges besucht hatte. Kennengelernt haben sie sich aber erst 1950, als Erhard plante, sich ein Haus am Tegernsee zu bauen und da auch Ruf die Absicht hegte, ein neues Domizil zu errichten, kamen beide zusammen. Bei der Suche nach einem geeigneten Bauplatz wurde Ruf schnell auf ein Gebiet am Ackerberg über Gmund aufmerksam, das aber seit 1937 unter Landschaftsschutz stand.

immobilienreport: Das Bauprojekt stieß nicht nur wegen des Landschaftsschutzes auf heftigen Widerstand. Weshalb?

Meissner: Die Häuser stellten mit ihren Flachdächern in dem von voralpenländischer Architektur geprägten kleinen Ort eine ziemliche Provokation dar.

Auch war man der Auffassung, dass ein Politiker nicht eine Villa benötige. Die Presse verglich im Sommer 1951 das Vorhaben sogar mit Hitlers Berghof und dessen Inbesitznahme des Obersalzberges. Die Verletzung des Landschaftsschutzgebiets war also nur ein Grund für den heftigen Widerstand. Der Gemeinderat stimmte wegen der „ungewohnten Bauweise“ gegen das Projekt. Die Landhäuser am Tegernsee – ein Name, den Ruf möglicherweise von Mies van der Rohes Projekt für ein Landhaus in Backstein entlehnte – entwarf er mit in die Landschaft ausgreifenden Flügeln und großflächigen Verglasungen. Dies hatte nicht viel mit der ortsüblichen Bauweise oberbayerischer Wohnhäuser mit geneigten Dächern zu tun. Im Gegensatz dazu, sind aber die an der Hangkante stehenden niedrigen Flachdachbauten eigentlich eher unauffällig und verbinden sich harmonisch mit der Natur.

immobilienreport: Von Anwohnern wurden die Landhäuser abschätzig als Tankstelle bezeichnet, nach Ansicht von Hans Eckstein, des führenden Designtheoretikers der Zeit, gehörten sie zur „besten deutschen Nachkriegsarchitektur und den reifsten Werken von Sep Ruf“. Sie wurden sogar oft mit Richard Neutras Wohnhäusern in Kalifornien verglichen.

Meissner: Rufs Landhäuser am Tegernsee erinnern tatsächlich an die von Neutra propagierte Wechselwirkung von Architektur und Landschaft. Ruf kannte dessen Bauten, doch sind Rufs Wohnhäuser völlig eigenständig entstanden. Bereits vor dem Krieg fing er an, die Wohnhäuser in Flügel aufzulösen, um sie so mit der Landschaft zu verklammern. Als Richard Neutra im Herbst 1954 auf einer Vortragsreise in München weilte, zeigte Ruf ihm sein gerade fertig gestelltes Haus am Tegernsee, das Neutra dann ausgiebig fotografierte.

immobilienreport: Trotz der Angriffe, die Erhard mit dem von Ruf entworfenen Haus am Tegernsee erfahren hatte, bat der Politiker den Architekten, ein politisch weit brisanteres Projekt zu entwerfen: der Kanzlerbungalow in Bonn.

Meissner: Erhard und Ruf schätzten sich und waren befreundet. Bereits Mitte der 1950er-Jahre galt Erhard als potenzieller Nachfolger Konrad Adenauers als Bundeskanzler. Anfang des Jahres 1963, als sich abzeichnete, dass Erhard bald das Amt übernehmen würde, fanden erste Gespräche zwischen ihm und Sep Ruf für den Bau eines Wohn- und Empfangsgebäude für den Bundeskanzler statt. Nach dem Gesetz hat ein Bundeskanzler Anspruch auf eine Amtswohnung mit Ausstattung, die sich für Wohnzwecke, Empfänge und offizielle Begegnungen eignet. Adenauer hatte davon keinen Gebrauch gemacht, er blieb in seinem Haus in Rhöndorf wohnen und das Palais Schaumburg diente im als Amtssitz. Erhard hielt die kühle Pracht des Palais Schaumburg für nicht geeignet und beauftragte seinen Freund Ruf, ihm ein Haus der Begegnung zu entwerfen.

immobilienreport: Am Tag von Adenauers Rücktritt wurde Sep Ruf vom Bundesschatzministerium offiziell mit dem Entwurf beauftragt, das die Kosten des Baus inklusive Innenausstattung auf 2,6 Millionen DM schätzte. Dies erschien einigen zuviel für das Kanzlerbungalow (Bild ganz oben, Bilder links unten). Kurz darauf schmähte die Presse den mit Schwimmbecken ausgestatteten Bau als Erhards „Ludwigslust“.

Meissner: Der Bau geriet zu einem Politikum. Da das kleine, drei mal sechs Meter große Schwimmbecken, im Modell als Swimming-Pool bezeichnet worden war, weckte es Assoziationen zu amerikanischen Luxusvillen. Die Bausumme musste Ruf dann auf unter zwei Millionen DM reduzieren und Umplanungen waren die Folge. Bei der Endabrechnung ergab sich dann sogar eine Kostenunterschreitung unter der von Ruf neu veranschlagten Bausumme von 1,85 Millionen DM.

immobilienreport: Der 37 Jahre später vom Bundeskanzler Helmut Kohl in Auftrag gegebene Bau des Bundeskanzleramtes in Berlin – dem weltweit größten Regierungssitz – verschlang statt den geplante 337 Millionen DM schließlich 465 Millionen DM. Dagegen erscheint die damalige Diskussion um Sep Rufs Bonner Kanzlerbungalow geradezu lächerlich.

Meissner: Die Baukosten waren ja nur ein Punkt der Kritik. Als Ludwig Erhard bereits 1966 Kurt Georg Kiesinger als Bundeskanzler weichen musste, nutzte dies Konrad Adenauer, um Erhard eins auszuwischen, da er wegen ihm hatte sein Amt verlassen müssen. Adenauer lästerte nach Ludwig Erhards Rücktritt, dass er dessen Nachfolger Kiesinger bedauere, weil kein Mensch im Kanzlerbungalow wohnen könne: „Ich weiß nicht, welcher Architekt den Bungalow gebaut hat, aber der verdient zehn Jahre.“ Darauf brach über Ruf eine wahre Hetzkampagne ein, aber bekannte Architekten wie Egon Eiermann oder Walter Gropius verteidigten ihn. 

immobilienreport: Die Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger und Helmut Kohl veränderten die Innenarchitektur des Bungalows, was sicher nicht im Sinne von Ruf und Erhard war. Willy Brandt zog erst gar nicht in das Haus ein. Nur Bundeskanzler Helmut Schmidt respektierte und schätzte den Bau (Bild links unten: Helmut Schmidt im Musikzimmer des Kanzlerbungalows). Heute gilt der Kanzlerbungalow als herausragendes Beispiel deutscher Architektur von Weltrang. Warum?

 

Meissner: In dem Verzicht auf pompöse Selbstdarstellung wurde der Kanzlerbungalow mit seiner weltoffenen Gesinnung zu einer Ikone der deutschen Nachkriegsarchitektur. Im Park des Palais Schaumburg schuf Ruf ein Haus der Begegnung: zwei miteinander verschränkte Quadrate mit flachen Dächern und Atrien. Hier trafen sich Regierungschefs aus aller Welt mit dem deutschen Kanzler. Aufgrund der bescheidenen Form der Staatsrepräsentation entsprach der Kanzlerbungalow dem von Erhard gewünschten Raum für persönliche Gespräche in angenehmer Atmosphäre.

immobilienreport: Das Gebäude wurde oft einer anderen Architekturikone gegenübergestellt, dem Deutschen Pavillon in Barcelona von Ludwig Mies van der Rohe?

Meissner: Mies hatte 1929 mit der Villa Tugendhat in Brünn demonstriert, wie die Themen fließender Raum, Bewegung durch Räume und Öffnung durch Glasflächen mit inszenierten Blickachsen und gerahmten Ausblicken umgesetzt werden können. Mit dem Barcelona-Pavillon übertrug er das Konzept fließender Räume auf einen modernen Repräsentationsbau und dieses offene Raumkonzept wurde dann mit der demokratischen Haltung der Weimarer Republik gleichgesetzt.

Auch Ruf schuf harmonisch aufeinander abgestimmte Raumfolgen. Statt versenkbarer Scheiben, wie im Haus Tugendhat, setzte er versenkbare Holztrennwände ein, um ein Ineinanderfließen der Räume zu ermöglichen. Schließlich stattete er den Innenraum mit edlen Materialien und klassischem Mobilar aus und erzielte so eine Raumwirkung von großer architektonischer Eleganz.

immobilienreport: Frau Meissner, vielen Dank für das Gespräch.

 

 

Irene Meissner:

Sep Ruf 1908 – 1982,

Leben und Werk,

512 Seiten, Deutscher Kunstverlag;

49,90 Euro

 

 

 

Bilder: Kanzlerbungalow, Bonn, südliche Gartenseite mit der „Maternitas“ von Fritz Koenig © Architekturmuseum TU München;  Ludwig Erhard und Sep Ruf bei der Planung des Kanzlerbungalows auf der Terrasse von Erhards Wohnhaus in Gmund am Tegernsee; © Wüst/HdG 2009 (Foto: G. Gronefeld); Irene Meissner; Ludwig Erhard auf der Terrasse vor dem Wohn- und Arbeitszimmer seines Hauses in Gmund © Architekturmuseum TU München; Landhaus Sep Ruf (drei Bilder) © Architekturmuseum TU München; Helmut Schmidt im Musikzimmer des Kanzlerbungalow,  © Haus Deutscher Geschichte