
Der Kirchenbauer
Viele Kirchen mussten nach dem zweiten Weltkrieg abgerissen werden und neu erbaut werden. Gustav Gsaenger ergriff die Chance um seine eigenwillig geschwungenen rotgestrichenen 50er-Jahre Bauten zu errichten. Dabei sorgten seine Sakralbauten in München nicht immer für Zustimmung. Gsaenger wurde am 25. Mai 1900 in München geboren. Er studierte von 1920 bis 1924 an der Technischen Hochschule in München unter anderem bei Germann Bestelmeyer Architektur und machte sich 1925 mit einem eigenen Büro selbständig. Von 1926 bis 1927 war in der Bauabteilung der Oberpostdirektion München tätig und kam so in Kontakt mit Robert Vorhoelzer und der Postbauschule.
In der Siedlung Neuhausen, die unter der Gesamtplanung Hans Döllgasts standen, erbaute er 1928 Wohngebäude, die zu seinen frühen Werken zählen. 1931 schuf Gsaenger die Epiphaniaskirche in München-Allach/Untermenzing und 1938 die Studentenwohnanlage in der Notburgastraße 19-21 in München.
Bekannt wurde Gustav Gsaenger aber nach dem Zweiten Weltkrieg als einer neben Sep Ruf wenigen modern bauenden Architekten und als Schöpfer einer Reihe von protestantischen Kirchenbauten, darunter die Markuskirche und die Matthäuskirche in München. Daneben hat er Kirchenbauten unter anderem für die Städte Wolfsburg, Sulzbach-Rosenberg, Waldkraiburg, Dachau ,Schwandorf und Dingolfing entworfen. Für den Wiederaufbau der kriegszerstörten Kreuzkirche in Kassel (Bild links) fand er eine originelle Lösung. Das Motiv des Turms der Kreuzkirche ist auch in Schwandorf und Dingolfing erkennbar.
Die Ersetzung der zerstörten Bausubstanz, durch Gsaengers typische Architektur der Nachkriegszeit wurde allerdings auch kritisch gesehen.
Der Erweiterungsbau des Münchner Stadtmuseums am Jakobsplatz und der Wiederaufbau des sogenannten Theatinerstocks in München gehören ebenfalls zu seinen Werken. Gsaenger starb am 14. September 1989 in München.
Umbau der Volksschule in der Türkenstraße (1951-1952)
Nach den Zerstörungen durch den zweiten Weltkrieg erbaute Gsaenger die 1872 bis 1874 von August Voit im Renaissance-Stil errichtete Volksschule in vereinfachten Formen neu auf. Durch eine Änderung der Fensterbänder und Mauerflächen bewirkte er ein völlig neues Erscheinungsbild. Anstatt des Satteldachs ließ er über den gesamten Bau eine Dachterrasse errichten. Die begehbare Terrasse bietet die Möglichkeit eines Unterrichts im Freien. Das Gebäude hebt sich auch durch die rote Farbgebung von der Umgebung ab.
Matthäuskirche (1953 - 1957)
Der heutige Bau wurde nach den Plänen Gsaengers
als Nachfolgerbau des im Dritten Reich abgebrochenen ersten evangelischen Kirchenbaus Münchens errichtet. Auf Drängen Adolf Hitlers verfügte Ende Juni 1938 der Gauleiter in Oberbayern, Adolf Wagner, den Abriss der Kirche. In einer Nachtaktion vom 13 auf den 14. Juni erfolgte der Abbruch um mögliche Widerstände zu umgehen. Angeblich war der Grund die geplante Verbreiterung der Sonnenstraße, als wahrer Grund wird jedoch die schwelende Animosität des NS-Regimes gegen den bayerischen Landesbischof Hans Meiser vermutet, der eine Gleichschaltung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern zu verhindern versuchte. Ein Neubau am alten Ort wurde aber nach dem Krieg von der Stadt München nicht unterstützt. Stattdessen wurde als neuer Standort eine städtebaulich dominierende Fläche am Sendlinger-Tor-Platz angeboten.
Zwischen 1953 bis 1955 wurde ein Zentralbau mit integriertem Pfarramt, Gemeinderäumen und Campanile errichtet. Der Kirchenraum bietet 1500 Besuchern Platz. Chor, Kirchenschiff und Empore gehen fließend ineinander über. Die geschwungene Decke prägt auch das Innere des Gebäudes. Gsaenger nahm damit die Form des halbkreisförmigen Platzes sowie die Ziegelfarbe des mittelalterlichen Sendlinger Tores auf. Gsaenger setzte damit seine eigene charakteristische Formensprache der organhaften Moderne ein.
„Trotz einer wie zufälligscheinenden Asymetrie sind Grund- und Aufriss streng nach einfachen geometrischen Formen entwickelt. Konvexe und konkave Formen modellieren die gesamte Kirche und ergeben einen rythmisch schwingenden Baukörper... Mit St Matthäus begann nicht nur der moderne evangelisch-lutherische Kirchenbau in München, sondern die Kirche setzte auch ein herausragendes Zeichen für eine völlig neue Architekturauffassung.“ (aus: Winfried Nerdinger (Hrsg.): Architektur der Wunderkinder, Seite 192).
Friedenskirche in Dachau (1953)
Die evangelisch-lutherische Kirche wurde nach Vorstellungen Gsaengers mit 300.000 Mark erbaut- Sie gilt als eine der schönsten Kirchenbauten Dachaus. In Bezug auf den Zweiten Weltkrieg sollte der Name die Hoffnung auf göttlichen Frieden für Flüchtlinge aus dem Osten wecken, der in Jesus Christus Wirklichkeit wurde. Das Vorgezogene Dach soll die Kommenden schützen wie das Nest den Vogel. Weil der Untergrund sehr moorig ist, ist die Kirche auf einen Pfahlrost aus Beton gestellt; das Dach ist mit Holzschindeln bedeckt. Der Turm ist insgesamt 31m hoch; in ihm befinden sich 3 Glocken.
Markuskirche (1955 – 1957)
Ursprünglich wurde die evangelisch-lutherische Kirche zwischen 1873 und 1876 nach Plänen von Rudolf Gottgetreu errichtet.
Während des Zweiten Weltkriegs wurde die St. Markus Kirche durch Bombenangriffe und kurz vor Kriegsende auch durch Kampfhandlungen schwer beschädigt. Allein der Turm blieb erkennbar stehen. Der heutige Bau ist faktisch ein Neubau nach Plänen von Gsaenger unter Einbezug vorhandener Mauerstrukturen. Nach Sicherungsmaßnahmen der Ruine erfolgte in den Jahren 1955 bis 1957 der Wiederaufbau. Gsaenger nahm kaum Rücksicht auf die vorhandene neugotische Bausubstanz. Der Chor wurde neu errichtet, dabei entstand über dem Chor ein Andachtsraum für 60 Gläubige, der durch ein Treppenhaus am Chor erreichbar ist. Der Turm wurde erst abgetragen und dann im Mauerwerk erhöht und durch ein kleines Zeltdach abgeschlossen. Außen erhielt die Kirche eine neue Fassadengliederung aus Beton. Die Farbgebung und Gliederung ist typisch für Gsaenger und auch in ähnlicher Form an seinen anderen Bauwerken zu beobachten. Die Umgestaltung war umstritten. Der spätere Bau des Altstadtrings machte die Sicht – auf die zuvor eher versteckte – St. Markus frei. Im Süden und Osten der Kirche entstand durch den Oskar-von-Miller-Ring eine platzartige Freifläche.
Kreuzkirche in Wolfsburg-Hohenstein (1957)
Ursprünglich waren für die Stadt, die währen des Nationalsozialismus am 1. Juli 1938 als „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“ neu gebildet wurde, Kirchen bewusst nicht vorgesehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg bestand daher in der VW-Stadt Nachholbedarf. In den 1950er Jahren entstanden viele Kirchenbauten von unterschiedlichen Architekten und namhaften Architekten wie von dem Finnen Alvar Aalto, dem Osterreicher Peter Koller und dem Hamburger Gerhard Langmaack. Daher wird die Stadt auch als „Museum modernen Kirchenbaus“ bezeichnet.
Nach Gsaengers Plänen wurde 1957 im neuen Stadtteil Hohenstein nahe der Innenstadt die Kreuzkirche gebaut. Der Name des Stadtteils geht auf die Gesteinsformation der Hohensteine zurück, die am Rande des Klieversberges an die Oberfläche tritt. Dort, wo diese Steine in einem parkähnlichen Gelände liegen, erbaute Gsaenger die Kreuzkirche. Um die Hohensteine rankt sich eine Sage: Eine Hochzeitsgesellschaft soll in frecher Rede Gott gelästert haben und wurde dafür zur Strafe in Steine verwandelt. Die Kirche ist in seiner geschwungenen Form und seiner rötlichen Erscheinung als typischer Gsaenger-Bau erkennbar.
Volksschule an der Fernpaßstraße (1959-1962)
Der S-förmige Schulbau kontrastiert mit der rechteckigen Zeilenstrucktur der Wohnbebauung. Das Gebäude unterteilt sich in einen geschgwungenen zweistöckigen Trakt für die Unterrichtsklassen und den Bereich für eine Turnhalle.
Erweiterung des Stadtmuseums (1959- 1964)
Das ehemalige Zeughaus mit den in den 1920er Jahren errichteten Erweiterungsbau des Stadtmuseums wurde im Krieg schwer zerstört. Zwischen 1949 und 1951 erfolgte der Wiederaufbau und zwischen 1959 und 1964 die Erweiterung der Anlage durch Gustav Gsaenger. Der Bauabschnitt umfasste eine Dreiflügelanlage mit Innenhof am Oberanger. Gegenüber dem Rosental übernahm Gsaenger den geknickten Straßenverlauf elegant in das Gebäude mit modernen Arkaden. Mit dem gegenüberliegenden, 40 Jahre später durch Peter C. von Seidlein errichteten Büro- und Geschäftsgebäude Leomax, wurde die architektonische Gestaltung gespiegelt und neu interpretiert.
Literatur:
Winfried Nerdinger (Hrsg.): Architekturführer München, Dritte Ausgabe
Winfried Nerdinger und Inez Florschütz (Hrsg.): Architektur der Wunderkinder - Aufbruch und Verdrängung in Bayern 1945-1960