
François de Cuvilliés: Vom Hofzwerg zum Großmeister des Rokoko
François de Cuvilliés der Ältere zählt zu den bedeutendsten Rokoko-Baumeister. In München beeinflusste er zahlreiche andere Architekten und Künstler dieser Zeit, darunter Effner, Asam, die beiden Gunetzrhainer, Zimmermann und J. M. Fischer, mit denen er zum Teil zusammenarbeitete.
Herkunft und Kindheit des kleinwüchsigen François de Cuvilliés ließen eine solche Karriere nicht erwarten. Doch die europäische Machtpolitik führte Cuvilliés Heimat und ihn mit den bayerischen Kurfürsten zusammen.
Kurfürst Max Emanuel hatte sich in den Türkenkriegen an der Seite Kaiser Leopold I und später im Kampf gegen Frankreich zu Beginn des pfälzischen Erbfolgekrieges den Ruf eines tapferen Kriegsherrn erworben. Auf Betreiben des Kaisers ernannte ihn der spanische König Karl II. Ende 1691 zum Generalstatthalter der spanischen Niederlande, also dem Gebiet des heutigen Belgien. Danach wechselte Max Emanuel im Zuge des spanischen Erbfolgekrieges jedoch die Seiten und schloß sich dem französischen Sonnenkönig Ludwig XIV an. Doch das Glück ließ ihn im Stich. Nach den verlorenen Schlachten von Hochstädt (1704), Ramillies und im Rheinland sowie der gegen ihn verhängten Reichsacht musste Max Emanuel von Bayern ins belgische Exil fliehen.
Hofzwerg in Brüssel
1708 trat der 13-jährige François de Cuvilliés als Hofzwerg in den Dienst Max Emanuels am Hof in Brüssel, wo dieser aber völlig von der französischen Hilfe abhängig war. Nach dem Frieden von Rastatt und Baden, in dem Frankreich die Wiedereinsetzung Max Emanuels als Kurfürst von Bayern durchsetzten, kehrte dieser 1714 mit seinem Hofstatt zurück in die Münchner Residenz.
Ein Schüler Joseph Effners
Mit dabei war auch Cuvilliés, der zuvor den Kurfürsten auch bei Reisen durch Frankreich begleitetet hatte und nun die Architekturlaufbahn einschlug. Ausgebildet wurde er bei Joseph Effner und 1720 bis 1724 an der Pariser Académie royale dárchitecture. 1725 wurde er zum Hofbaumeister am kurfürstlichen Hof ernannt.
Schlösser im Rheinland
Für Max Emanuels Sohn, dem 28-jährigen Kölner Erzbischof Clemens August I von Bayern stattete er das soeben neuerbaute Schloss Augustusburg im rheinländischen Brühl durch ein Paradezimmer und neue Fassaden aus. Wenig später wurde er für den Bau von Jagdschloss Falkenlust auf dem gleichen Areal in Brühl beauftragt, eine Arbeit, die sich mehrere Jahrzehnte hinzog.
Adelspaläste in München
In München führte er in der Residenz die Reichen Zimmer aus und errichtete und gestaltete im Kreuzviertel einige der schönsten Adelspaläste der Stadt, wie das Palais Piosasque de Non, das Palais Holnstein und das Palais Neuhaus-Preysing.
Das Palais Piosasque de Non (siehe schwarz-weiß Bild rechts oben) errrichtete Cuvilliés für den gebürtigen Piemonteser und kurfürstlichen Kämmerer, Generalwachtmeister und Hartschier Joseph Graf Piosasque de Non nahe dem von Effner errichteten Preysing-Palais. Die Architekten Joseph Effner und Cuvilliés arbeiteten um die Wette und entwarfen beide säulengezierte Eingänge mit prächtig geschnitzten Türen, geschmiedeten Oberlichtgittern, Balkonen. Für den Kunstexperten Cornelius Gurlitt gilt das mit seiner Fassadengestaltung an der Theatinerkirche orientierten Palais Piosasque de Non „wohl eine der graziösesten Schöpfungen der Münchner Architektur.“ Das Gebäude in der Theatinerstraße 16 wurde im Krieg zerstört, an seiner Stelle befindet sich heute ein Teil der „Fünf Höfe“.
Als das bedeutendste der noch erhaltenen Adelspalais aus der Barockzeit in München gilt das Palais Holnstein (Bild links), das Cuvilliés 1735 bis 1737 für den Sohn des Kurfürsten Karl Albrecht, Franz Ludwig Graf von Holnstein, erbaut hat. Das Palais ist als Vierflügelanlage um einen Innenhof gestaltet, wobei das Vorderhaus für repräsentative Zwecke genutzt wurde, während das Hinterhaus die Privatsphäre des Grafen diente. Nicht nur die Rokokofassade, sondern auch viele Innenräume sind im Originalzustand erhalten. Seit 1818 ist das Palais im Staatsbesitz, es ist seit 1821 aber auch Dienstsitz des Erzbischof von München und Freising und wird als Erzbischöfliches Palais bezeichnet. 2013 zahlte der Freistaat Bayern als Eigentümer 75 Prozent oder 6,5 Millionen Euro der 8,7 Millionen Euro der Renovierungskosten gezahlt. Der derzeitige Münchner Erzbischof, Reinhard Marx, wohnt in drei Zimmern des Palais, das der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist.
Über eine der wenigen original erhaltenen Adels-Palaisfassaden verfügt auch das Palais Neuhaus-Preysing (Bild links unter Bild Cuvilliés-Theater) in der Pranner Straße. Allerdings ist nahezu nur noch die Fassade des 1944 völlig zerbombten, des 1737 für die Adelsfamilie von Neuhaus errichteten Anwesens. Der Entwurf stammt wohl aber nicht von Cuvilliés selbst, sondern von seinem Mitarbeiter Kögelsberger. 1971 gelang es in den Besitz der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank AG und ist nun als Teil des Ensembles in der Kardinal-Faulhaber-Straße/Prannerstraße im Besitz der Schörghuber-Unternehmensgruppe, die dort künftig den Umbau und Nutzung für ein Luxushotel plant.
Bauten im Schlosspark und der Residenz
Zu Cuvilliés schönsten Werke und Hauptarbeiten zählen die Amalienburg im Schlosspark Nymphenburg und das nach ihm benannte Cuvilliés-Theater in der Münchner Residenz. Beide Arbeiten wurden im Auftrag des jeweiligen Kurfürsten durchgeführt.
Die Amalienburg war ein Geschenk von Kurfürst Karl, der als Nachfolger seines Vaters Max Emanuel von 1726 bis 1745 Kurfürst und Herzog von Bayern war, an seine Frau Amalie. Cuvilliés erbaute den einstöckigen Rokokobau im Amalienburger Garten des nymphenburger Schlossparks von 1734 bis 1739 als Jagdschlösschen für die Fassanenjagd. Der Eingang befindet sich im Westen, davor ist ein rund eingeschwungener Ehrenhof angedeutet. Auf der Ostseite führt eine Treppe ins Freie. Der Eingang führt zu dem zentral gelegenen, runden Spiegelsaal, dessen Wände die äußere Natur abbilden. Im Norden schließen das Jagdzimmer und das Fasanenzimmer, im Süden das Ruhezimmer und das Blaue Kabinett an, das zur Retirade und der Hundekammer führt. An das Fasanenzimmer grenzt die Küche. Die Stuckarbeiten und Schnitzereien wurden von Johann Baptist Zimmermann und Joachim Dietrich ausgeführt.
Das alte Residenztheater, später Cuvilliés-Theater bezeichnet, wurde in den Jahren 1751 bis 1753 vom bereits alten Baumeister im Auftrag von Kurfürst Maximilian III. Joseph, dem Sohn des am 20. Januar 1745 verstorbenen und Nachfolger Karl Albrecht von Bayern erbaut. Am 9. Juli 1750 erfolgte die Grundsteinlegung. Die Bauleitung lag bei Cuvilliés’ Sohn François de Cuvilliés dem Jüngeren und Cuvilliés’ Schüler Karl Albert Lespilliez. Es befindet sich heute im sogenannten Apothekenstock der Münchner Residenz und zählt zu den bedeutendsten Bauwerken Cuvilliés. Das Theater ist in den Farben Rot und Gold gehalten. Die vier Stockwerke mit je 14 Logen umschließen hufeisenförmig das Parterre. Die Kurfürstenloge, die, sich über die beiden mittleren Stockwerke erstreckend, der Bühne gegenübersteht, bildet der künstlerische Mittelpunkt. Die Ausstattung des Inneren, für die am Tegernsee über 1000 Bäume gefällt wurden, stammt von dem Bildhauer Johann Baptist Straub, Anton Pichler und Joachim Dietrich.
Vordenker des Rokoko-Design
Außer als Architekt und Inneneinrichter übte Cuvilliés auch durch seine Schriften einen großen Einfluss auf die Gestalter des Rokokos aus. Zwischen 1738 und 1756 veröffentlichte er mehr als fünfzig Bücher zur Innenausstattung von Räumen und zu Gestaltungselementen wie Wandpaneelen, Zimmerdecken, Möblierung und schmiedeeisernen Dekorationsobjekten. Die Stiche in diesen Büchern trugen dazu bei, Geschmack und Stil des Rokoko in ganz Europa zu verbreiten. Mit dem Castrol Herd – dem Topfherd – in der Amalienburg entwarf er den ersten Herd mit geschlossenem Feuerkasten und obenliegender, durchlöcherter Herdplatte.
Trotz französischen Einfluss – Cuvilliés unternahm auch später Reisen nach Frankreich, wie 1755 bis 1756 einen längeren Aufenthalt in Paris – dominiert die bayerische Komponente, so dass er zu den Großmeistern des deutschen Rokoko gerechnet wird. „Das Geistreiche an seinen Grundrisslösungen, die Eleganz seiner prachtvollen Dekorationen, die Fantasie mit subtilem Geschmack verbinden, ist unübertroffen“.
François de Cuvilliés, der aufgrund seines namensgleichen Sohnes den Beinamen "der Ältere" erhielt, verstarb am 14. April in München.
Werke (Auswahl)
ab 1726: Palais Piosasque de Non (nicht erhalten), Kreuzviertel, München
1727: Teehaus (zugeschrieben) im Schlosspark von Schloß Ismaning, Ismaning
ab 1728: Aus- und Umbau von Augustenburg in Brühl
1729 - 1740: Jagdschloss Falkenlust in Brühl
1730 - 1737: Reiche Zimmern in der Residenz, Graggenau, München
1731 - 1736: Umbau der Räume des Palais Portia von Enrico Zucalli, Kreuzviertel München
1733 - 1737: Palais Holnstein, Erzbischöfliches Palais, Kreuzviertel, München
1734 - 1739: Amalienburg im Schlosspark Nymphenburg
1735 - 1740: Palais Neuhaus-Preysing, Kreuzviertel, München
1743 - 1749: Schloss Haimhausen im Landkreis Dachau - Bild links
1743 - 1756: Schloss Wilhelmsthal bei Kassel - Bild links
1751 - 1753: Cuvilliés-Theater in der Residenz, Graggenau, München
1765 - 1768: Fassade der Theatinerkirche St. Kajetan, Kreuzviertel, München
Quellen: Nerdinger, Winfried (Hrsg.): Architekturführer München; Gerhard Woeckel: Cuvilliés, Jean François Vinzent de, in: Neue Deutsche Biographie; wikipedia
Bilder: Palais Piosasque de Non vor 1897– Joseph Albert; Schloss Augustusburg, Stadtseite mit Arkaden – Hajotthu; Amalienburg im Schlosspark Nymphenburg – Rufus46; Schloss Haimhausen, Ansicht von Westen – Gras-Ober; Schloss Wilhelmsthal in Calden bei Kassel von der Park- Rückseite – Dorado; sonstige: Ulrich Lohrer