Kathedralen der Moderne

Ende vergangenes Jahr wurde in München die 100. U-Bahn-Station eingeweiht. Eine kurzer Überblick über die architektonische Bandbreite der schönsten Stationen. 
Vor knapp 40 Jahren, rechtzeitig vor den olympischen Sommerspielen 1972, wurde Münchens erste U-Bahnlinie eröffnet. 209 waren bereits 351 Millionen Fahrgäste mit der U-Bahn unterwegs, 15 Millionen mehr als noch 2007. Am 11. Dezember 2010 wurde mit der U-Bahnhaltestelle am S-Bahnhof Moosach die 100. Station eröffnet. Das gesamte Münchner U-Bahn-Netz erstreckt sich mittlerweile auf über 100 Kilometer.


Der Ausbau verkürzte nicht nur den Weg zur Arbeit für viele Münchner, er hilft auch die Umweltbelastung der Stadt zu reduzieren und wertet durch die bessere Verkehrsanschließung die Immobilien ganzer Viertel auf. „U-Bahnhöfe sind nicht allein nur Ingenieurbauwerke, ihre Gestaltung ist vielmehr auch Ausdruck des Zeitpunktes ihrer Entstehung“, erläutert Rosemarie Hingerl, Stadträtin und Leiterin des Baureferats. „Damit begibt man sich bei einer Fahrt mit der Münchner U-Bahn gleichsam auf eine Zeitreise der U-Bahn-Architektur.“ Für die Akzeptanz spielen auch Funktionalität, Freundlichkeit und Ästhetik der Haltestellen eine wichtige Rolle. Eine interessante und liebevoll gestaltete Broschüre des Baureferat zeigt an ausgewählten Stationen, wie unterschiedlich und eindrucksvoll dies gelang. Man darf gespannt sein, was sich Baureferat und Architekten fur die nächsten U-Bahn-Ausbaustufen nach Pasing und Englschalking mit den Stationen Willibaldstraße, am Knie und Pasing im Westen und Cosimopark, Fideliopark und Englschalking im Osten einfallen lassen. Bis zum Ausbau oder gar Fertigstellung wird es allerdings noch einige Zeit dauern.

Dagegen können Passanten und Besucher bereits bestehende architektonische und künstlerische Stationen für den Preis eines Tickets schon jetzt besichtigen. Bei der U-Bahnhaltestelle Westfriedhof entschied sich beispielsweise das Architekturbüro Auer & Weber die archaische Betonfläche mit den Schlitzwandelementen der Rohbaukonstruktion sichtbar zu lassen. Die grobe Oberflächenstruktur der Wände ist der Negativabdruck des Baugrundes, der die Wände bei ihrer Herstellung umgeben hat. Verstärkt wird die mystische Atmosphäre durch die Lichtgestaltung des Designer Ingo Maurer: Elf überdimensionale Lampenschirme, die innen blau, rot oder gelb lackiert sind, leuchten den Granitboden hell aus. Der Bahnsteig hebt sich so vom dunklen Blaulicht der Wände ab.

Ganz anders gestaltet dasU-Bahn-Referat zusammen mit dem Büro Hermann + Öttldie Haltestelle St. Quirin-Platz. Am südlichen Ende der Fromundstraße quert die U-Bahntrasse die Grünanlage „Am hohen Weg“. Im dicht bebauten München ist dies eine seltene, aber gute und interessante Ausgangssituation für den Bau eines U-Bahnhofs. Die Architektur passte sich an die topografische Hanglage des Bahnhofs an und machte aus der Not eine Tugend: Eine muschelartige geöffnete Halle bringt viel Tageslicht in die Station und erinnert in ihrer geschwungenen Konstruktion an den futuristischen TGF-Bahnhof Lyon-Saint-Exupéry des spanischen Stararchitekten Santiago Calatrava.

 

Sehr hell ist auch der U-Bahnhof Fröttmaning, der Zufahrt zur Allianz Arena und zum neuen Stadtteil Haidpark. Kein Wunder, befindet sich die Station doch nicht unter, sondern auf der Erde. Eine besondere Dachkonstruktion überspannt den Bahnhof mit einer sanften Wölbung. Eine  Art Hommage von Julia Mang-Bohn und Peter Bohn von Bohn Architekten an die Gestalter des Olympiadachs Frei Otto, Günter Behnisch, Fritz Auer und Carlo Weber. Auf beiden Bahnsteigen stehen mittig stählerne „Baumstützen“. Sie bestehen aus je vier Stahlrundrohren, die durch einen Gussknoten miteinander verbunden sind und sich nach oben konisch verjüngen. Diese baumartigen Rohrkonstruktionen tragen das gewölbte Dach. Die Profilierung der Dachhaut erinnert an die Kammern eines Gleitschirms.

Auch bei der U-Bahnstation Oberwiesenfeld hat man Aussicht in den Himmel. Es ist kaum vorstellbar, dass sich der Bahnhof elf Meter unter der Erde befindet. Die Gestaltung aus pulverbeschichteten Aluminiumpaneelen entstammt dem künstlerischen Entwurf von Rudolf Herz und Hans Döring. Die Südseite des sonst schlichten Innenraums zeigt das schwarz-weiße Wandbild „Ornament“ mit einem langgestreckten Labyrinth, die gegenüberliegende Wand ist einfach in ein warmen Orange gehalten.

Kunst wurde auch in der U-Bahn-Station Georg Brauchle-Ring eingesetzt und erzeugte dort aber eine ganz andere Wirkung als in der Station am Oberwiesenfeld. Eine Komposition von Farben erwartet den Fahrgast. Für sein Kunstwerk „Die große Reise“ entwarf Franz Ackermann ein Raster von Wandtafeln in 17 unterschiedlichen Farbtönen, in das er Tafeln mit Fotografien, Malereien, Post- und Landkarten aus den Metropolen der Welt einstreute. Sie haben autobiografischen Bezug. Insgesamt besteht diese Verkleidung aus 400 Metalltafeln.

In der Messestadt West wurde die Leitidee des „veredelten Rohbaus“ wieder aufgegriffen, doch vom Baureferat und von Obermeyer Planen und Beraten ganz anders umgesetzt als beim U-Bahnhof Westfriedhof. Die offene stützenfreie Bauweise ermöglichte für den ersten Messebahnhof eine zweigeschossige Halle, die sich in voller Länge von einer bis zur anderen Seite überschauen lässt.Die Wände und Decken blieben zwar auch als Betonflächen in ihrer ursprünglichen Beschaffenheit, doch mit einem rot-lasierendem Farbauftrag ergibt sich zusammen mit dem Tageslicht der großen Lichtschächte in der weiträumigen Halle ein völlig anderer Effekt. Ein verglastes Café bildet eine transparente Zwischenzone mit direktem Licht und Sichtkontakt zu den Gleisen. Die gläserne Längsfront ragt schräg ausladend in den oberen Bereich der Bahnsteigwand, quasi über die verkehrenden Züge. Cafébesucher beobachten das Geschehen am Bahngleis und umgekehrt. Hier und zusätzlich über neun runde verglaste Deckenaussparungen flutet Tages- licht herein.

Die Dokumentation „U-Bahnhöfe München 1997-2010“ kann im In- ternet kostenfrei als pdf herun- tergeladen werden. Als gedruckte Brochüre liegt sie im Baureferat in der Friedensstraße 40 gegen fünf Euro zum Verkauf aus.

Bilder: St. Quirin und Messestadt West sowie Karte: Baureferat München; Georg-Brauchle-Ring: Florian Holzherr; sonst: Ulrich Lohrer