Schöne Betonburgen

Mit dem Architekturpreis Beton werden herausragende Leistungen der Architektur und Ingenieurbaukunst aus, die durch den Baustoffs Beton geprägt sind.

Den diesjährigen Preis erhalten vier Preisträger, darunter die Münchner  Architekturbüros Burger Rudacs Architekten (Umbau eines Gebäudes der TU Chemnitz) und Hess Talhof Kusmierz Architekten (Grundschule im Münchner Arnulfpark).

 

Der Architekturpreis Beton wird durch das InformationsZentrum Beton mit dem Bund Deutscher Architekten BDA ausgelobt und seit 1974 zum 19. Mal verliehen.
 Bayerns Architekten holten sich dieses Jahr gleich drei der vier vergebenen Preise. Den durch das InformationsZentrum Beton in Kooperation mit dem Bund Deutscher Architekten BDA ausgelobten Preis erhielten dieses Jahr Barkow Leibinger (Berlin) für das Hochhaus Tour Total in Berlin, Burger Rudacs Architekten (München) für einen Umbau der TU Chemnitz und Hess Talhof Kusmierz Architekten (München) für die Grundschule im Münchner Arnulfpark sowie Koeberl Doeringer für das private „Haus über der Gasse“ in Passau.

Die Jury (Bild links) unter dem Vorsitz Amandus Sattler (Allmann Sattler Wappner Architekten) lobte an der Grundschule Arnulfpark „die atmosphärisch warme, reduzierte Materialität des Gebäudes" . In dem Um- und Erweiterungsbau Adolf Ferdinand Weinhold Bau der TU Chemnitz von Burger Rudacs sieht die Jury „ein äußerst gelungenes Beispiel für die energetische und gestalterische Revitalisierung großmaßstäblicher Bauten der Nachkriegsmoderne.“

Eine gesonderte Anerkennung erhielt die Versuchs- und Forschungsgebäude „Weinberghaus“, Weinberg bei Wörrstadt der TU Kaiserslautern (Bild links unten). 

 

Eine Auszeichnung erhielt zudem ein weiterer Münchner Bau, die Hochschule für Fernsehen und Film sowie Staatliches Museum Ägyptische Kunst (Bild ganz unten) des Kölner Architekten Peter Böhm.

 

Grundschule am Arnulfpark, München

Architekten: Hess Talhof Kusmierz Architekten und Stadtplaner BDA, München


Bauherrin: Landeshauptstadt München, Baureferat und Referat für Bildung und Sport
Fertigstellung: Juli 2012

Jurybegründung: Charakteristisch für die dreizügige Grundschule mit Tagesheim und Sporthalle (siehe großes Aufmacherbild oben) ist ihre besondere baukörperliche Struktur, die auf einem eigens für diese Schule entwickelten Organisationsprinzip beruht. Es sieht im Erdgeschoss einen Gemeinschaftsbereich mit Pausenhalle, Mehrzweckraum, Küche, Musik- und Werkräumen vor, während das Gebäudevolumen im Obergeschoss in individuelle Bereiche - sogenannte Lernhäuser - für vier jahrgangsübergreifende Lerngruppen aufgelöst ist. Diese überschaubaren Einheiten mit je drei Klassenräumen und ein bis zwei Tagesheimräumen sowie ein Verwaltungs- und Lehrerbereich im Kopf des Gebäudes sind durch großzügige Dachterrassen voneinander getrennt, die über Freitreppen mit dem Pausenhof im Norden und über einen offenen Laubengang im Süden untereinander verbunden sind. Je ein Luftraum mit Treppe führt außerdem im Innern in den zentralen Erschließungsgang im Erdgeschoss. Hier entsteht durch einen tiefen Rücksprung der Fassade eine überdachte Freifläche, die die 50m-Laufbahn aufnimmt und den Schülern auch an Regentagen Pausen an der frischen Luft ermöglicht.
Diese außergewöhnliche Baukörper- und Erschließungsstruktur bildet zum einen eine Art kleine Stadtstruktur, die sowohl im Erdgeschoss als auch im Obergeschoss eine sehr gute Verzahnung mit dem Freiraum schafft. Zum anderen ist sie für die Kinder leicht lesbar und in hohem Maße identitätsstiftend.
Auch die atmosphärisch warme, reduzierte Materialität des Gebäudes, die sich sowohl außen als auch innen konsequent auf sorgfältig geplante und ausgeführte Sichtbeton- und Holzoberflächen beschränkt, bewertet die Jury als authentisch, angemessen und zum Gebrauch einladend. Starke Farbakzente und eine gut gestaltete Lichtführung vervollständigen das Bild eines rundum gelungenen Lern- und Wohlfühlortes.


TU Chemnitz, Umbau des Adolf Ferdinand Weinhold Bau, Chemnitz

Architekten: Burger Rudacs Architekten, München


Bauherr: Freistaat Sachsen, vertreten durch den Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement, Niederlassung Chemnitz
Fertigstellung: 2013

Jurybegründung: Mit seinen schwer aufeinander lagernden, plastisch ausgebildeten Betonkörpern wirkt das Instituts- und Forschungsgebäude der TU Chemnitz fast wie ein Neubau. Dabei stammt der Hauptbaukörper - eine ca. 170 m lange, markante Scheibe - aus dem Jahr 1970. Er wurde beim Umbau durch Burger Rudacs Architekten bis auf die Stahlskelettkonstruktion rückgebaut und um zwei Geschosse reduziert. An der Stirnseite des Bestandsbaus schließt ein neues Hörsaalgebäude an und bildet das Entree und neue Gesicht zum Campus. Durch ebenfalls neu errichtete Fluchttreppenhäuser an beiden Enden des Bestandsriegels gelingt die tektonisch stimmige Zusammenfügung der einzelnen Baukörper zu einem monumentalen, harmonisch proportionierten Ensemble. Großformatige, vorgefertigte Sichtbeton-Sandwichelemente in verschiedenen Grautönen lassen Alt- und Neubauten skulptural und wie aus einem Guss erscheinen. Dabei bilden die unterschiedlich ausgebildeten neuen Fassaden des Bestandsbaus dessen asymmetrische innere Struktur mit nach Süden orientierten Büroräumen und nach Norden angeordneten, tieferen Labor- und Seminarräumen ab. In der Höhe verspringende Fensterbänder auf der Südseite und unterschiedlich breite Fensterformate im Wechsel mit betongrauen, perforierten Blechpaneelen zur Verblendung der Lüftungsflügel auf der Nordseite brechen die Strenge des bestehenden Konstruktionsrasters auf und lassen die Ansichten flächiger erscheinen. Durch die farblich abgestimmten unterschiedlichen Materialien entsteht je nach Lichteinfall ein changierendes Lichtspiel. An den Stirnseiten wird die individuell reagierende Fassadengestaltung elegant wieder miteinander verwoben.
Die Jury sieht in dem Um- und Erweiterungsbau ein äußerst gelungenes Beispiel für die energetische und gestalterische Revitalisierung großmaßstäblicher Bauten der Nachkriegsmoderne, die einen erheblichen Teil unseres Baubestandes ausmachen. Das Projekt stellt nicht Alt und Neu nebeneinander, sondern steht für ein Weiterbauen dieser architektonischen und städtebaulichen Sprache, die trotz gestalterischer Überformung in ihrer Klarheit und Kraft noch deutlich spürbar ist.

 

Haus über der Gasse, Passau

Foto: Architekten

Architekten: Koeberl Doeringer Architekten BDA, Passau


Bauherr: Meierhofer Gbr
Fertigstellung: 2011

Jurybegründung: Das „Haus über der Gasse“ in der denkmalgeschützten Passauer Innenstadt wurde im 17. Jahrhundert als Erweiterung des Nachbarhause auf einer Gasse gebaut, sodass ein Ensemble aus zwei giebelständigen Gebäuden mit Halbwalmdach entstand. Im Zuge der denkmalgerechten Sanierung wurden die beiden Häuser innenräumlich voneinander getrennt und durch unterschiedliche Dach- und Fassadengestaltungen als eigenständige Baukörper lesbar gemacht. So erhielt das größere Haus einen zurückhaltenden, hellgrauen Außenputz und eine traditionelle rote Dachdeckung, während das schmale „Haus über der Gasse“ mit neuen Materialien moderner und eigenständiger in Erscheinung tritt: Trotz denkmalrechtlicher Auflagen, durfte seine nun kerngedämmte Südfassade durch eine Vorsatzschale aus Sichtbeton und einen prägnanten, verglasten Erker ergänzt werden. Das Dach erhielt eine Blechdeckung. Die Jury hebt besonders die Gestaltung der neuen Betonfassade hervor, die samt Laibungen für die neuen, eigenwillig proportionierten und platzierten Öffnungen über die volle Höhe betoniert wurde und durch ihre unregelmäßige Struktur von gegeneinander versetzten, vertikalen Schalungsbrettern handwerklich und rau wirkt. So wird mit dem im altstädtischen Kontext unerwarteten Baustoff Beton sowohl zeitgemäße Eigenständigkeit wie auch große Angemessenheit und Homogenität erreicht. Dabei wirkt der bewusst unfertige, grobe Charakter des rohen Materials jeder restaurativen Lieblichkeit entgegen. Im Innern des Hauses wurden alle maroden Holzdecken durch Sichtbetondecken ersetzt, auf denen sich - wie auch im neuen Treppenhaus - das Schalungsbild der Fassade fortsetzt und so eine Verbindung von Innen und Außen schafft. Für Einbauten und die Haustüre wurden bereits verwendete Schalungsbretter eingesetzt, was ein spannendes Nebeneinander von Holz- und Betonoberflächen ergibt. Historische Elemente wie Bruchsteinmauerwerk und der alte Dachstuhl wurden freigelegt und schonend gereinigt. Mit KfW60 Standard, einer Pelletsanlage und einem innovativen Wandheizsystem, das durch in den Außenwänden verlegte Kupferrohre ohne sichtbare Heizkörper auskommt, ist die Sanierung auch technisch und energetisch vorbildlich.

Tour Total, Berlin

Foto: Corinne Rose

Architekten: Barkow Leibinger, Berlin


Bauherr: CA Immo Deutschland GmbH


Jurybegründung: Der "Tour Total" bildet an seiner städtebaulich exponierten Position einen prägnanten und überzeugenden Baustein des neu zu entwickelnden Stadtquartiers "Europacity" am Berliner Hauptbahnhof. Entgegen dem in den letzten Jahren bei Hochhausbauten zu beobachtenden Trend, durch die Auflösung baukörperlicher Formen Dynamik zu erzeugen, erreicht der knapp 70 Meter hohe Verwaltungsbau dieses Ziel in erster Linie durch eine raffinierte Fassadengestaltung; seine einer funktionalen inneren Organisation folgende Kubatur bleibt in ihrer Form klar und geschlossen. Die spezifische Wirkung und besondere Qualität des Gebäudes entwickelt sich aus dem architektonischen Detail heraus: Seine plastisch ausgebildete Fassade aus hellen, vor die tragende Wandkonstruktion vorgehängten Beton-Fertigteilen überzieht den Baukörper mit einem bewegten Linienverlauf, der die Strenge des tragenden Rasters auflöst und dem Haus eine starke Identität in Nah- und Fernwirkung verleiht. Dieses komplexe Fassadenbild entsteht durch ein einfaches, asymmetrisches Grundmodul in T-Form, das in einer geschickten Anordnung leicht variiert, gespiegelt und seitlich versetzt zum Einsatz kommt und eine überraschende Vielfalt und Dynamik erzeugt. Je nach Wetter, Jahres- und Tageszeit zeichnet der wechselnde Lichteinfall so ganz unterschiedliche Bilder auf die Fassade. Als besonders beispielhaft würdigt die Jury den Ansatz, über Vorfertigung der Fassadenelemente handwerkliche Präzision und einen hohen Qualitätsstandard zu sichern und gleichzeitig durch den klugen Umgang mit den seriellen Elementen eine beeindruckende gestalterische Varianz zu erzielen.Es bleibt zu hoffen, dass die architektonische Qualität des Gebäudes impulsgebend auf das gesamte in den nächsten Jahren entstehende Quartier ausstrahlen wird.

 

Fotos: Grundschule am Arnulfpark, München: Florian Holzherr (siehe Aufmacherfoto oben); TU Chemnitz: Werner Huthmacher; Haus über Gasse, Passau:Koeberl Doeringer Architekten